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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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zu meiner fahlen Oberflächlichkeit, zur Erotik eines naiven Gänschens, zu den leeren Gedanken einer graziösen albernen Pute: zu meinem Kreuz, meinem Waterloo.
    Soll er doch sterben.

Das Eis
Rue de Crenelle, Zimmer
     
     
    Was ich bei Marquet liebte, war ihre Großzügigkeit. Ohne um jeden Preis die Innovation zu suchen, wo so mancher große Chefkoch fürchtet, man könnte ihn des Immobilismus bezichtigen, jedoch auch ohne in ihren aktuellen Kreationen zu schwelgen, arbeitete sie nur deshalb ununterbrochen, weil es letzten Endes in ihrer Natur lag und sie es gerne tat. So konnte man bei ihr genausogut mit einer immer neu jungfräulichen Karte schäkern als auch ein Gericht aus den Vorjahren bestellen, das sie mit der Bereitwilligkeit einer Primadonna zubereitete, die man anfleht, eine der Melodien zu singen, die sie berühmt gemacht haben.
    Zwanzig Jahre lang schon schlemmte ich bei ihr. Von all den Großen, mit denen ich engeren Umgang pflegen durfte, war sie die einzige, die mein Ideal der schöpferischen Perfektion verkörperte. Nie hat sie mich enttäuscht; ihre Gerichte brachten mich immer vollkommen aus der Fassung, raubten mir schier die Besinnung, vielleicht gerade darum, weil diese Eigenständigkeit und Originalität einer Küche, die sie immer wieder neu erfand, bei ihr natürlich waren.
    An jenem Juliabend hatte ich, erregt wie ein übermütiges Kind, draußen an meinem Tisch Platz genommen. Zu meinen Füßen plätscherte leise die Marne. Der weiße Stein der restaurierten alten Mühle, halb auf festem Boden, halb über dem Wasser thronend und da und dort mit einer zartgrünen Moosschicht überzogen, die sich in der kleinsten Ritze festsetzte, schimmerte blaß in der hereinbrechenden Dunkelheit. Gleich würde man die Terrassen beleuchten. Ich habe immer eine besondere Vorliebe gehabt für die fruchtbaren Gelände, wo ein Fluß, eine Quelle oder ein Wildbach, der durch die Wiesen fließt, einem Ort die Heiterkeit der satten, grünen Natur verleiht. Ein Haus am Wasser: das ist die kristallklare Ruhe, das ist der Zauber eines schlafenden Gewässers, die mineralische Unbeteiligtheit des Wasserfalls, der nirgends verweilt und Menschensorgen sogleich auf ihren Platz verweist. An diesem Tag aber, unfähig, die Reize des Ortes zu genießen, nahm ich sie nicht einmal wahr und wartete leicht ungeduldig, bis die Herrin des Hauses kam. Sie erschien fast sofort. »Also«, sagte ich zu ihr, »heute möchte ich ein Abendessen, das ein bißchen eigenwillig ist.« Und ich zählte meine Wünsche auf.
     
    Speisekarte 1982: Seeigel Royal mit Sansho, Hasenrücken, Nieren und Leber von jungen Kaninchen mit Strandschnecken. Buchweizengalette.
    1979: Gestampfte Agria-Kartoffeln mit Kabeljau; Artischocken aus Südfrankreich, Gillardeau-Austern und gegrillte Gänseleber. Mit Lauch gebundene Makrelenbouillon.
    1989: Geschmorte Steinbuttschnitte an aromatischen Kräutern; abgelöscht mit Cidre vom Bauernhof, Comice-Biren mit Gurkengrün.
    1996: Gauthier-Tauben an Pastis und Muskatblüten, Dörrobst und Gänseleber mit Radieschen.
    1988: Madeleines mit Tonkabohnen.
     
    Es war ein Florilegium. Was Jahre kulinarischer Inbrunst an zeitlosen Verführungskünsten hervorgebracht hatten, vereinte ich in einem einzigen Topf Ewigkeit, ich förderte aus der unförmigen Masse von angesammelten Gerichten die paar echten Goldklumpen zutage, die, aneinandergereiht zum Perlenhalsband einer Göttin, daraus ein legendäres Werk machen würden.
    Ein Augenblick des Triumphs. Sie schaute mich einen Moment lang entgeistert an, bis sie verstand; senkte den Blick auf meinen noch leeren Teller; nickte langsam, während sie Augen auf mich richtete, die überflossen vor Hochachtung, Anerkennung, Bewunderung und Respekt, und kräuselte die Lippen in einem Ausdruck ehrerbietiger Huldigung. »Aber ja, gewiß«, sagte sie, »gewiß; das liegt doch auf der Hand …«
    Natürlich war es eine anthologische Schlemmerei, und es war vielleicht das einzige Mal in unserer langen Gemeinschaft als Feinschmecker, daß wir wirklich vereint waren in der Hingabe an eine Mahlzeit, weder Kritiker noch Köchin, einzig Spitzenkenner, die der gleichen Liebe verpflichtet waren. Doch obschon diese Erinnerung an den Adel des Gastronomengeschlechts mehr als alle anderen meiner Selbstgefälligkeit als Schöpfer schmeichelt, habe ich sie nicht deshalb aus den Nebeln meines Unbewußten aufsteigen lassen.
     
    Madeleines mit Tonkabohnen, oder von der Kunst der ungebührlichen Raffung!

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