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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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gut ist?« sagte ich auf gut Glück und zog dabei die Schultern ein.
    Ich hatte verloren. Wie oft habe ich sie seither in Gedanken – und Bildern – wieder durchgespielt, diese erschütternde Szene, diesen Moment, wo sich etwas hätte wenden, wo die Dürre meiner vaterlosen Kindheit sich in eine neue, strahlende Liebe hätte verwandeln können … Wie in Zeitlupe ziehen die Sekunden vor dem Hintergrund meiner unerfüllten Sehnsüchte vorüber; Frage, Antwort, Warten, und dann die Vernichtung. Der Funke in seinen Augen erlischt so schnell, wie er aufgeblitzt ist. Angewidert wendet er sich ab, bezahlt, und ich kehre erneut in das Verlies seiner Gleichgültigkeit zurück.
    Aber was mache ich denn hier in diesem Treppenhaus, mit klopfendem Herzen, und wälze diese ganzen Greuel, die schon längst überwunden sind – es wenigstens sein sollten, die kapituliert haben sollten nach so vielen Jahren des Leidens, auf der Couch, wo ich um meine ureigenen Worte ringen mußte und jeden Tag ein bißchen mehr das Recht erwarb, nicht mehr Haß, nicht mehr Schrecken zu sein, sondern nur noch ich selber. Laura. Seine Tochter … Nein. Ich gehe nicht hinauf. Ich habe den Vater, den ich nicht hatte, schon zu Grabe getragen.

Das Fleisch
Rue de Crenelle, Zimmer
     
    Wir verließen das Schiff im Gedränge, im Lärm, im Staub und in der allgemeinen Müdigkeit. Schon war Spanien, das wir in zwei aufreibenden Tagen durchquert hatten, nur noch ein flüchtiges Trugbild am Rande unserer Erinnerung. Schmutzig, erschöpft von den Kilometern auf gefährlichen Straßen, verdrossen durch die Hast der kurzen Halte und die summarische Verpflegung, erdrückt von der Hitze im vollbepackten Auto, das endlich langsam über den Quai rollte, lebten wir noch einige Augenblicke in der Welt des Reisens, ahnten aber schon, wie wunderbar es sein würde, angekommen zu sein.
    Tanger. Vielleicht die unerschütterlichste Stadt der Welt. Unerschütterlich stark durch ihren Hafen, ihre Stellung als Verbindungsstadt, Stadt des Einschiffens und des Ausschiffens, auf halbem Weg zwischen Madrid und Casablanca, unerschütterlich stark auch, weil sie dennoch nicht, wie Algeciras auf der anderen Seite der Meerenge, eine Hafenstadt ist. Stark und beständig, unmittelbar sich selbst und in sich selbst ruhend trotz der klaffenden Öffnung der Quais gegen das Anderswo, von einem autarken Leben erfüllt, eine Enklave der Sinne am Scheideweg, so schlug uns Tanger in der ersten Minute schon kräftig in Bann. Unsere Reise ging zu Ende. Und wenn unser Ziel auch Rabat war, Wiege meiner Familie mütterlicherseits, wo wir seit der Rückkehr nach Frankreich jeden Sommer verbrachten, hatten wir schon in Tanger das Gefühl, angekommen zu sein. Wir parkten das Auto vor dem Bristol, einem bescheidenen, aber sauberen Hotel an einer steilen Straße, die zur Medina führte. Eine kurze Dusche, und dann begaben wir uns zu Fuß zum Schauplatz eines angekündigten Hochgenusses.
     
    Er lag am Eingang zur Medina. Unter den Bogengängen rings um den Platz empfingen einige kleine Restaurants, in denen man Bratspießchen anbot, die Passanten. Wir betraten das »Unsere«, stiegen in den ersten Stock hinauf, wo im engen Raum mit den blaugestrichenen Wänden, der auf den runden Platz hinaus ging, ein einziger großer Tisch thronte, und nahmen, in Erwartung des unwandelbar feststehenden Menüs, das unserer Gunst harrte, mit vor Aufregung zusammengezogenem Magen Platz. Ein armseliger, wenn auch gewissenhafter Ventilator war eher dazu da, dem Zimmer den Charme der windigen Orte zu verleihen, als daß er uns erfrischt hätte; der beflissene Kellner stellte auf das ein wenig klebrige Resopal Gläser und eine Karaffe mit eisgekühltem Wasser. Meine Mutter bestellte in perfektem Arabisch. Kaum fünf Minuten, und die Gerichte standen auf dem Tisch. Vielleicht finde ich nicht, was ich suche. Ich werde immerhin die Gelegenheit gehabt haben, mich an folgendes zu erinnern: das gegrillte Fleisch, den Mechuia-Salat, den Pfefferminztee und die Cornes de gazelle. Ich war Ali Baba. Die Schatzhöhle, das war dieser perfekte Rhythmus, diese schillernde Harmonie von einzelnen Gerichten, die an sich schon exquisit waren, deren strenge, rituelle Abfolge jedoch ans Erhabene grenzte.
    Die Fleischklößchen, mit dem gebührenden Respekt für ihre Festigkeit gebraten und trotz der Feuertaufe kein bißchen trocken, erfüllten meinen Mund des professionellen Fleischfressers mit einer warmen, würzigen, saftigen und kompakten

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