Die letzte Eskorte: Roman
es könnten heimliche Wetten mit im Spiel sein. Blieb aus Sicht des Kapitäns zu hoffen, dass sich keiner der Seeleute in den Ruin trieb, da es um die meisten Männer finanziell nicht gut bestellt war.
Der Tag war wie geschaffen für eine Partie: Es war warm und windstill, am Himmel war keine Wolke zu sehen, und das schier endlose Mittelmeer zeigte sich in schillernden blauen und grünen Tönen. In Booten brachte man die Sportler an Land und setzte sie unweit der Stadt ab.
Das angenehme Klima, die Fröhlichkeit der Gefährten und das gute Gefühl, die harten Wochen hinter sich zu haben, versetzten Hayden in eine zufriedene Stimmung. Und er hätte sich noch besser gefühlt, wenn Henrietta Carthew an seiner Seite gewesen wäre. Obwohl er sich diesen Wunsch nicht erfüllen konnte, gestattete er sich, in schönen Tagträumen zu schwelgen. In seinen Erinnerungen stand ihm Henrietta bildhaft und zum Greifen nah vor Augen, und die Gefühle, die er stets in ihrer Gegenwart empfand, stellten sich nun mit derselben Intensität ein, sodass sich in seine Ausgeglichenheit ein wohliges Gefühl der Sehnsucht mischte – was er nicht als unangenehm empfand.
Während die Crew der Themis dem Verlauf der Straße folgte, wurden einige der Einheimischen auf die Prozession aufmerksam, nicht nur junge Burschen, die nach willkommener Ablenkung suchten, sondern auch eine Anzahl junger Frauen von zweifelhaftem Ruf, die sofort im Mittelpunkt der männlichen Aufmerksamkeit standen.
Zu Haydens Überraschung ließ auch Griffiths Interesse an diesen jungen Damen erkennen, doch dann merkte Hayden, dass die Blicke des Doktors auf einer bestimmten Frau hafteten. Sie war sehr anmutig anzusehen, hatte eine reine Haut und langes Haar, das im Sonnenlicht kupferfarben leuchtete. Ihr ganzes Benehmen war so bescheiden, dass Hayden sich fragte, ob sie nicht eine Schwester eines der jungen Männer war, die sich den Spielern angeschlossen hatten. Gleichzeitig wunderte er sich allerdings, warum der junge Bursche seine Schwester in eine solche Gesellschaft gebracht hatte. Erst auf den zweiten Blick fiel Hayden auf, dass die besagte Frau nur eine Hand hatte – die linke fehlte. Die Narbe der Operation war noch rosafarben und frisch am Handgelenk zu erkennen.
»Sehen Sie das, Doktor«, sagte Hayden leise. »Der jungen Frau dort fehlt eine Hand.«
Griffiths nickte, wandte bewusst den Blick von der Frau ab und errötete leicht. »Ja, und was für ein Stümper der Chirurg gewesen sein muss.«
So gingen sie schweigend weiter. Hayden, Hawthorne und Griffiths bildeten eine kleine Einheit in der größeren Gruppe, die auf ihrem Weg durch die Stadt an fremden Seeleuten, Einwohnern und britischen Soldaten vorbeikam.
Hayden fühlte sich in Gesellschaft des Leutnants der Seesoldaten und des Schiffsarztes wohl und dachte nicht ohne Wehmut an die Zeit zurück, als er mit diesen Männern die Offiziersmesse teilte und noch nicht die Isolation in der Kapitänskajüte aushalten musste.
Das friedliche Miteinander fand indes ein jähes Ende, als weiter vorn auf der Straße eine große Unruhe ausbrach. Frauen wie Männer suchten Schutz in Hauseingängen oder flüchteten sich in Seitengassen, bis Sekunden später die Rufe »Ein toller Hund! Ein toller Hund!« durch die Straße schallten. Oben an den Fenstern tauchten Gesichter auf, Leute lehnten sich gefährlich weit heraus und blickten hinab in das Durcheinander auf der Straße.
Ein schwarzer Mischling, die Schnauze und Lefzen voller Speichel, tauchte zwischen all den Flüchtenden auf und schnappte nach jedem, der ihm in den Weg kam.
Hawthorne schaute sich geistesgegenwärtig um und griff nach dem Stock einer Sackkarre, der an einer Hauswand lehnte. Dann stellte er sich breitbeinig mitten auf die Straße und hielt den Stock wie eine Axt in beiden Händen. Weiter vorn stoben die Menschen auseinander wie ein Wirbel aus Röcken und Mantelschößen, Kinder wurden von der Straße gerissen und durch offene Fenster in die Häuser gereicht.
Plötzlich fuhr der tollwütige Hund scharf nach rechts und setzte einem korpulenten Mann nach, der in seiner Angst zunächst zu einer verschlossenen Tür eilte und dann unbeholfen die Richtung änderte. Der Hund schnappte nach dem vollen Gesäß des Mannes, lief dann jedoch auf Hawthorne zu, der dem Tier den Weg versperrte.
Augenblicke später war der Spuk vorbei, als der Leutnant der Seesoldaten den Stock auf den Kopf des Hundes niedersausen ließ. Mit schwach zuckenden Gliedmaßen lag das
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