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Die letzte Eskorte: Roman

Die letzte Eskorte: Roman

Titel: Die letzte Eskorte: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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diesem Grund stieg er, so oft es ging, an Deck, und wenn er schon einmal auf den Beinen war, dann schaute er regelmäßig beim Quarantäneverschlag vorbei. Dieser Ort löste zwar eine namenlose Unruhe in Hayden aus, doch als Kapitän musste er sich dort blicken lassen. Wenn er sich nach dem Befinden des Doktors erkundigte, versuchte Mr Ariss ihn jedes Mal zu beruhigen, doch in der Miene des Assistenten spiegelte sich Hoffnungslosigkeit.
    Auf einer seiner Runden traf Hayden zufällig Mr Gould, der am Tisch der Deckoffiziere saß. Da Hayden wusste, dass Ariss, der Midshipman und Smosh gelegentlich frische Luft und eine Pause von der schweren Krankenpflege brauchten, stand den Männern die Messe an Steuerbord zur Verfügung – doch es ließ sich ohnehin niemand aus der Crew dort freiwillig blicken.
    Gould saß vornübergebeugt am Tisch, und vor ihm, ein Dutzend Schritte entfernt, standen einige Seeleute.
    »Möchten Sie noch mehr, Mr Gould?«, fragte einer der Männer.
    Gould schüttelte schwerfällig den Kopf. Hayden sah den jungen Mann nur von hinten, doch seiner Körperhaltung entnahm er, dass er gerade etwas aß.
    »Mr Jefferies hat noch etwas Käse übrig«, ergänzte ein anderer. »Soll ich Ihnen ein Stück holen?«
    Der junge Mann nickte nur.
    Der Matrose eilte davon.
    Als die Männer ihren Kapitän bemerkten, grüßten sie alle vorschriftsmäßig.
    »Wie geht es Ihnen, Mr Gould? Nein, bleiben Sie bitte sitzen. Essen Sie ruhig weiter. Wer weiß, vielleicht werden Sie jeden Augenblick wieder gebraucht.«
    »Mir geht es gut, Sir«, antwortete Gould und beeilte sich, den Bissen herunterzuschlucken, um anständig mit dem Kapitän sprechen zu können.
    In diesem Moment kehrte der Matrose mit dem Stück Käse zurück, das er auf einem Brett servierte. Doch er trat nicht ganz an den Tisch, sondern blieb möglichst weit davon entfernt stehen und beugte sich dann mit gestreckten Armen nach vorn. So schnell wie möglich eilte er dann zu seinen Kameraden zurück, die für die Versorgung des Midshipman abgestellt waren.
    »Sie sind in guten Händen, wie ich sehe«, bemerkte Hayden.
    »Ja, Sir. Die Männer sind sehr freundlich zu mir, Kapitän.«
    »Das sehe ich, und Sie haben es verdient. Nur weiter so.«
    Hayden setzte seine Runde fort und war so erleichtert wie schon seit Tagen nicht mehr. Einem mutigen Offizier sahen die Seeleute viele Fehler und Nachlässigkeiten nach. Das hatte er schon des Öfteren beobachten können. Und nichts fürchteten die Männer so sehr wie eine Seuche – abgesehen von Blutvergiftungen nicht heilender Wunden.
    Da Gould sich bereit erklärt hatte, Mr Ariss im Quarantänebereich auszuhelfen, schauten die älteren Crewmitglieder nun bewundernd und anerkennend zu ihm auf, und zweifellos würden auch die übrigen Männer den jungen Midshipman achten und respektieren. Gould würde auf lange Sicht gut mit der Mannschaft auskommen, und das freute Hayden ungemein.

K APITEL ELF
    Sie ließen den toten Mann herunter, der sich langsam an einem groben Strick drehte. Die Schlinge, mit der er sich erhängt hatte, lag noch eng um seinem zierlichen Hals. Zwei seiner Kameraden halfen, ihn auf die harten Planken zu legen. Dort lag er nun unnatürlich verdreht und mit steifen Gliedern, die Strähnen seines feinen Haars hingen ihm ins blutleere Gesicht.
    Fast noch ein Junge, ging es Hayden durch den Kopf.
    Die Männer, die ihn gefunden hatten, nahmen nun ihre Hüte ab und starrten ihren Kameraden an, als hätten sie noch nie einen Toten gesehen. Hayden konnte sich an den jungen Mann kaum erinnern, machte sich indes jetzt bewusst, dass er den Anblick des Leichnams so schnell nicht vergessen würde: die Lippen dunkel verfärbt und geschwollen, scharlachrote Rinnsale auf den Wangen, die von geplatzten Blutgefäßen zeugten.
    Griffiths trat vor und war selbst noch so schwach, dass er sich auf einen Gehstock stützen musste. Da er sich nicht bücken konnte, ging er umständlich neben dem jungen Burschen auf die Knie. Er lockerte die Schlinge – ein schlechter Knoten, der sich enger und enger gezogen und dem jungen Mann ein qualvolles Ersticken bereitet hatte. Rasch betrachtete der Schiffsarzt die Hände und den Hals des Toten und bedeutete dann zwei Männern, den Leichnam mit einer tragbaren Koje fortzuschaffen.
    »Hinunter mit ihm ins Lazarett«, sagte Griffiths mit rauer Stimme. »Möge Gott seiner Seele Frieden schenken.«
    »Möge Gott seiner Seele Frieden schenken«, hallte es über das Deck, als ein Mann nach

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