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Die letzte Eskorte: Roman

Die letzte Eskorte: Roman

Titel: Die letzte Eskorte: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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erheben.
    Zufällig ertastete Hayden ein Fußpferd, das noch an der Rah befestigt war. Jetzt war es ihm möglich, sich ein klein wenig weiter nach oben zu ziehen, doch schon bald lief ein Zittern durch sein Bein, als er versuchte, sein Gewicht über Wasser zu halten.
    Ein Mann nach dem anderen wurde von dem Rundholz gerissen, entweder vom Wind oder von einer Unterströmung. Der Seemann unmittelbar neben Hayden rutschte ab und rang nach Luft. Reflexartig streckte Hayden die Hand nach ihm aus und fand den Kragen des Mannes, aber seine Finger waren so kalt und steif, dass er nicht mehr zupacken konnte. Das Letzte, das er fühlte, war die kalte Handfläche des Seemanns, die kraftlos an seiner Hand abglitt.
    Für Hayden wurde es immer schwieriger, den Kopf über Wasser zu halten, denn seine Nackenmuskeln wollten nicht mehr gehorchen, sodass ihm der Kopf immer häufiger auf die Brust zu sacken drohte. Er bettete das Gesicht auf seinen angewinkelten Arm, mit dem er sich an die Rah klammerte. Das Verlangen überkam ihn, das salzige Wasser zu erbrechen, doch er schluckte und spürte, wie die Eiseskälte tief in seine Eingeweide drang.
    Niemand rief mehr um Hilfe. Der Mond brach durch die Wolkenbänder und warf sein fahles Licht auf schäumende Wellen, deren Gischtkronen eine silbrige Färbung annahmen. Hier und da zwinkerten Sterne durch die Wolken. Hayden wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten würde, und musste an seinen Vater denken, der vor so vielen Jahren im Atlantik untergegangen war, ebenfalls im Winter. Schon oft hatte er seinen Vater im Traum gesehen. Schlafend zog er mit der Strömung durch die Tiefe des Ozeans, bis zu dem Tag, an dem die See ihre Toten preisgeben würde. Schon bald würde auch Hayden von einem Sog langsam in die Tiefe gezogen werden und trudelnd wie ein Blatt im Wind zu dem älteren Hayden aufschließen.
    »Sir?«
    Hayden hatte längst die Augen geschlossen und öffnete sie nun mit Mühe. Ein kleiner Bursche mit aufgesprungenen Lippen und tief liegenden Augen zupfte an Haydens Schulter.
    »Sir.«
    »Ja?«
    »Ich glaube, d-da hat einer gerufen.«
    »Aus welcher Richtung?«
    »Keine Ahnung, Sir.«
    Hayden setzte alles dran, um seinen umnebelten Geist wachzurütteln. »Komm, ich helfe dir auf die Rah. Schaffst du das?«
    »Ich fürchte nein, Sir.«
    »Ich helfe dir. Leg ein Bein über das Holz, dann stütze ich dich am Knie.«
    Der Junge bemühte sich, aber als er sich an Haydens Handgelenk abstützte, wäre Hayden fast untergegangen, weil sein Arm nachgab. Die See hatte ihn seiner Kräfte beraubt.
    »Tut mir leid, Sir.«
    »Nicht deine Schuld. Hör genau zu. Ich stehe noch auf dem Fußpferd. Ich tauche gleich unter und dann kletterst du auf meinen Rücken und schwingst dich auf die Rah. Hast du verstanden?«
    »Sind Sie sicher, Sir?«
    »Das ist unsere einzige Chance. Fertig?«
    Als der Junge nickte, tauchte Hayden mit dem Kopf unter Wasser und hielt sich nur noch mit den Handgelenken am Rundholz fest, da er die Hände nicht mehr bewegen konnte. Ein Knie prallte gegen seine Schläfe, ein kleiner Fuß drückte auf seine Schulter und schickte Hayden beinahe noch tiefer nach unten. Einen quälend langen Augenblick trug er das Gewicht des Jungen, und gerade als er glaubte, nicht länger durchhalten zu können, spürte er, wie die Last auf seiner Schulter fort war. Hayden trudelte wieder an die Oberfläche und wäre um ein Haar fortgespült worden, wenn der Junge nicht Haydens Arm umklammert und um das Rundholz gelegt hätte.
    »Ruf um Hilfe!«, keuchte Hayden.
    »Hier«, quiekte der Junge. » Themis , hier sind wir!«
    Hayden verzweifelte, ahnte er doch, dass niemand sie in diesem Sturm hören würde.
    »Hier!«, rief der Junge, diesmal etwas lauter – ein wenig verzweifelter als zuvor. » The-e-mis! «
    Der Wind antwortete mit einer Bö, und die Gischt der Wellenkämme sprühte ihnen ins Gesicht.
    »Haben Sie gehört, Sir? S-Sir?«
    »Nein«, glaubte Hayden zu antworten, aber er wusste schon nicht mehr, was wirklich geschah und was sich in seinem Kopf abspielte. Er hatte das Gefühl, langsam in eine Traumwelt zu gleiten.
    »Halten Sie sich fest, Sir. Hie-Hier! «
    Die See fühlte sich nicht mehr länger kalt an, sondern warm und einladend. Wie leicht es doch war, aus dem Leben zu scheiden und dem lieblichen Traum zu folgen, der ihn lockte – Henrietta nahm ihn in die Arme, und sein Vater, der nun freudig aus kaltem Schlaf erwachte, wisperte Haydens Namen. Ein Gespinst aus Erinnerungen und

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