Die letzte Eskorte: Roman
hinauf, aber niemand wurde weggestoßen, weil nach wie vor einer für den anderen da war. Hayden war auf eigenartige Weise stolz auf diese Mannschaft, die auch unter den widrigsten Umständen zusammenhielt. Denn die meisten Matrosen konnten nicht schwimmen.
»Wer hat die Äxte?«, rief Hayden laut. »Alles vorbereiten, um die Kreuzrah wegzuschlagen. Aber ich will nicht, dass Spiere auf die Männer weiter unten stürzen, also wartet meinen Befehl ab.«
Hayden blickte hinab in die dunklen Wasser. Die Reling wurde schon von den Wellen überspült, die nun die Püttings der Wanten erreichten. Wie alle anderen auch, spähte Hayden hinaus aufs Meer und hielt Ausschau nach der Themis , konnte jedoch nirgends Boote sehen.
Inzwischen saßen die meisten Männer rittlings auf der Kreuzrah oder höher in den Mastspitzen und dem Rigg der Bramstengen, die nicht gestrichen worden waren. Hayden und Cole waren nun der Wasseroberfläche am nächsten und hockten auf den Fußpferden der Rah. Knapp über ihnen klammerten sich zwei Männer mit kurzen Äxten an den Mast und schauten immer wieder von den steigenden Fluten zu Hayden. Als unter ihnen erneut eine Wellenfront vorbeirauschte, schien das Wasser gut drei Fuß gestiegen zu sein.
»Großer Gott, wir sinken ja furchtbar schnell«, wisperte Cole neben Hayden.
»Können Sie schwimmen?«, fragte Hayden ihn leise zurück.
»Ein bisschen«, antwortete Cole nach kurzem Zögern.
»Wir müssen diese Rah jetzt verlassen, damit sie abgeschlagen werden kann. Reichen Sie die Laterne weiter nach oben.«
Die Lampen wanderten von Hand zu Hand hinauf, worauf Hayden und Cole so weit nach oben kletterten, bis sie sich auf der Mars des Untermastes festhalten konnten.
Hayden erhob die Stimme, um sich bei allen Gehör zu verschaffen. »Sobald die Rah schwimmt, dürft ihr nicht alle zugleich darauf! Sie wird euch nicht alle tragen! Bleibt im Wasser und klammert euch mit beiden Armen an das Holz!«
Jetzt hatte das Wasser Haydens Füße erreicht, und noch ehe es ihm in die Stiefel lief, spürte er schon, wie die Kälte durchs Leder drang. Das Leder wurde augenblicklich an seinen Fuß und den Knöchel gedrückt, was Hayden als schmerzhaft empfand.
»Die Fallen der Unterrahen wegschlagen!«, rief Hayden den Männern mit den Äxten zu. »Auch die Toppnanten unter den Blöcken, damit wir uns an den Leinen festhalten können.«
Die Männer hackten eifrig mit den Äxten auf Tauwerk und Rundholz ein.
Kaum waren die Taue durchtrennt, als das Wasser auch schon die Rah erreichte, sodass die Spiere mit all ihren Kattsporen weniger als drei Fuß nach unten fielen, dabei jedoch alle Männer in die eiskalte See spülten. Eine Welle brach über dem letzten Mann zusammen, der sich noch an den sinkenden Mast klammerte, und Hayden wurde von dem wackligen Sitz auf der Mars ins Meer gerissen. Die Kälte schnitt in sein Fleisch, lähmte die Muskeln, zerrte an den Gelenken.
Keuchend kam er wieder an die Oberfläche, blickte sich hastig um und sah einen Jungen auf dem Mast sitzen, der das Gleichgewicht zu halten versuchte und eine Laterne hochhielt – ihre einzige Hoffnung auf Rettung. Hayden packte einen wild um sich schlagenden Seemann am Kragen und schwamm die wenigen Yards bis zur Rah, an die sich alle Männer krampfhaft klammerten.
Dort ließ er den prustenden Mann vorerst zurück und schwamm abermals los, als er Männer schreien hörte. Eine Woge hob ihn empor, sowie er einen Matrosen erreichte. Der Mann griff nach Hayden, drückte ihn unter Wasser, doch Hayden tauchte hinter ihm wieder auf, umfasste ihn von hinten und zog ihn auf dem Rücken zur Rah. Danach war er völlig ausgelaugt und konnte sich selbst kaum noch am Holz festhalten, das die See in ihrem Rhythmus nach oben drückte.
»Ruft doch!«, spornte Hayden die anderen an. »Alle zugleich, oder man wird uns nie hören. » Hier! «, schrie er aus Leibeskräften. » HIER! «
Die Männer stimmten mit ein. » Hier! «, kam es von Lippen, die so kalt waren, dass die Männer kaum noch ein Wort bilden konnten. » HIER! «
Eine Welle ergoss sich über sie und schleuderte Hayden wieder ins kalte Wasser, doch irgendwie gelang es ihm, sich weiter an der Spiere festzuhalten. Als er wieder auftauchte, waren die beiden Männer links und rechts von ihm fort, ebenso der Junge mit der Laterne.
»Ruft, Männer, oder wir sind verloren!«, schrie er weiter. »Hier!«
Inzwischen stimmten weniger mit ein. Kaum einer hatte noch die Kraft, die Stimme zu
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