Die letzte Eskorte: Roman
dem anderen die Worte leise wiederholte.
Mühsam stützte sich Griffiths auf seinem Stock ab, als er sich nach oben zog. Mit einem Blick hatte er Haydens Aufmerksamkeit und gab dem Kapitän zu verstehen, ihn kurz zu begleiten. Gemeinsam traten sie an die Heckreling.
»Bitte setzen Sie sich doch, Doktor«, sagte Hayden, worauf sich Griffiths ein wenig außer Atem auf die hölzerne Bank sinken ließ. Hayden lehnte sich derweil an die Backbordreling und wartete.
»Ich muss ihn noch genauer untersuchen«, sagte Griffiths und kam selbst nach dieser kleinen Anstrengung nur langsam wieder zu Atem, »aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es Selbstmord war.«
Hayden schüttelte den Kopf – der zweite Freitod seit er an Bord der Themis gekommen war. Sofort entsann er sich des gehetzten Blickes von Giles Sanson, als dieser sich in die tosende See stürzte – noch ein Gesicht, das er nie vergessen würde.
»Mir ist er vorher nicht aufgefallen. Einer der gepressten Männer, nehme ich an. Bleibt die Frage, warum sich ein junger Bursche wie er in den Tod stürzt.«
Griffiths, noch hagerer als sonst und gezeichnet von der Krankheit, holte ein Taschentuch hervor und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich werde versuchen herauszufinden, ob er – zu irgendetwas gezwungen wurde.«
Ein leiser Fluch entwich Haydens Lippen. »Vielleicht können uns da die Männer weiterhelfen, die ihn kannten.«
»Falls ihn überhaupt einer richtig kannte. Wie dem auch sei, ich bezweifle, dass Sie etwas erfahren werden, das uns Aufschluss über sein Ende gibt. Was erwarten Sie? Ein junger Bursche, wahrscheinlich von sensiblem Gemüt und gegen seinen Willen an Bord gepresst, wird in eine raue Welt geworfen, die er weder kennt noch begreift. Zudem geht es ausgerechnet im Winter auf See, ein furchtbarer Sturm wühlt das Meer auf, und der Bursche sieht sich einem Feind gegenüber, von dem er bislang nichts wusste und der ihn mit schrecklichen Waffen zu töten versucht. Und wahrscheinlich verhält sich die eigene Crew ihm gegenüber feindselig oder behandelt ihn sogar brutal. Ich habe schon Männer gesehen, die bei weitaus geringeren Anlässen von Schwermut befallen wurden. Selbstmord wird dann im Logbuch stehen, aber der Junge wurde von der Royal Navy umgebracht. So sieht doch die Wahrheit aus.«
Seit seiner Krankheit war Griffiths so gebrechlich und gehässig, dass Hayden es vorzog, nicht weiter auf die Worte des Schiffsarztes einzugehen. Er hielt es für wahrscheinlich, dass der Bursche drangsaliert oder belästigt worden war, und wenn das stimmte, dann lag die Schuld auch bei den Offizieren, von denen sie ohnehin zu wenige an Bord hatten. Und von den Offizieren hatte nur eine Hand voll genug Erfahrung im Umgang mit der Crew. Hayden schämte sich, dass es an Bord seines Schiffes so weit gekommen war – dass ein junger Bursche, ohne Freunde und der Verzweiflung nah, in den Tod getrieben worden war. Als Kapitän machte er sich nun Vorwürfe und kreidete sich den Fehler selbst an.
»Aber die gute Nachricht ist«, fuhr der Schiffsarzt fort, »falls es an einem solchen Tag gute Nachrichten geben kann, dass der Hafendoktor uns bescheinigt hat, dass wir die Influenza los sind. Wir können diese verfluchte gelbe Flagge einholen und dürfen an Land.« Hayden spürte Griffiths’ Blick und sah dem Mann in die Augen. Der Schiffsarzt hatte mit dem Tod gerungen, und wenn man ihm jetzt in die Augen sah, hatte man den Eindruck, Griffiths habe sich noch tiefer in sein Innerstes zurückgezogen, ganz so, als sei seine Seele in einen dunklen, schmalen Brunnen gefallen.
»Dann holen wir sie sofort ein.« Hayden schaute sich nach einem wachhabenden Offizier um. »Mr Archer? Holen Sie die Quarantäneflagge ein.«
»Aye, Sir!«, antwortete der Leutnant enthusiastisch, als habe er in seinem ganzen Leben noch nie so einen dankbaren Befehl erhalten.
»Informieren Sie mich umgehend, wenn Sie etwas Auffälliges bei – diesem toten Burschen finden.« Hayden hatte schon wieder den Namen des Toten vergessen, was ihn nicht sonderlich verwunderte, da sein Gedächtnis noch nicht wieder wie sonst arbeitete, seitdem der Atlantik ihn fast seines Lebens beraubt hatte. »Ich muss fort. Bericht erstatten beim Admiral, müssen Sie wissen. Ich hoffe nur, dass diese Begegnung fruchtbarer wird als die letzte.«
Hayden begab sich rasch nach unten in seine Kajüte und suchte diverse Papiere zusammen, die er brauchen würde – die Liste mit den Namen der Männer, die an der
Weitere Kostenlose Bücher