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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Álvaro Mutis
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undurchsichtigere Dinge vorhaben als die Geschichte mit dem Frachter, dachte er. Er hätte sie sich nie zu Feinden machen wollen. Sie begrüßten ihn sehr herzlich und begannen auf die Mole zuzugehen. Iturri bemerkte, von seinem Fenster aus habe er das Schiff nicht gesehen. »Es liegt hinter diesem schwedischen Dampfer, der mit Touristen bis nach Tiflis fährt«, erklärte ihm der Gaviero in einem Ton, in dem der Baske einen Anflug von Ironie zu bemerken glaubte. Sie gingen weiter, und tatsächlich lehnte hinter diesem makellos weißen Ozeandampfer die Alción müde an der Mole. Sie war etwas aufgefrischt worden, was aber nicht ausreichte, um die Spuren ihres langen Kreuzens in den rauesten Klimas und Breiten des Erdballs zu verdecken. Natürlich hatte der Baske jede Art von Schiffen mit langer Geschichte und beträchtlichen Narben kennen gelernt. Dieses hier übertraf sie in ihrem heruntergekommenen Zustand alle. Er spürte, wie sich ihm das Herz zusammenzog. Worauf ließ er sich da ein, wenn er auf diesem Stück Abfall von Hafen zu Hafen schipperte, um eine hypothetische Fracht zu finden? Sein Volk hat aus dem Schweigen eine scharfe, unergründliche Waffe gemacht. Wortlos stieg er hinter den beiden Männern an Bord, die, mit etwas zweifelhaftem Anstand, ihr auf der Straße begonnenes Gespräch fortsetzten. Sie betraten einen Raum, der die Kapitänskajüte sein musste. Sie war frisch gestrichen, und die Messingteile waren mit annehmbarer Sorgfalt poliert. Aber die Schlafkoje, das Tischchen – das an einer Seite mit zwei Scharnieren an der Wand befestigt war, sodass man es hochklappen und fixieren konnte, um mehr Platz zu haben – und zwei schwere Mahagonistühle zeigten Spuren eines unerbittlichen, unmöglich zu übertünchenden, fast museumswürdigen Verschleißes. Offensichtlich waren sie Vorkriegsstücke. Aus einer kleinen, oberhalb der Koje befestigten Kommode zog Bashur ein paar vergilbte Pläne und breitete sie auf dem Tisch aus. Es waren die Schiffspläne. Über sie gebeugt, begann er dem voraussichtlichen Teilhaber seiner Schwester die Eigenschaften des Frachters zu erläutern. »Maschinenraum, Ladeluken und alles andere, was Sie sehen wollen, werden wir natürlich noch besichtigen. Auf keinen Fall möchten wir, dass Sie sich übereilt entscheiden. Ich weiß, das Schiff ist nicht eben ein Modell, das zuversichtlich stimmt. Doch darin täuscht es, es ist viel widerstandsfähiger, als sein Aussehen annehmen lässt.« Levantinergeschwätz und Wahrheit zu gleichen Teilen, dachte Iturri und konzentrierte sich aufs Studium der Pläne. Auf einmal spürte er, wie das durch die Tür eintretende Licht einem Halbdunkel wich. Jemand stand auf der Schwelle und schaute ihn an. Er blickte auf. Was er sah, verschlug ihm die Sprache und kann kaum in Worte gefasst werden. Ein maliziöses Aufleuchten in den Augen des Gaviero drückte ein stummes, halb unverschämtes, halb wohlwollendes ›Ich habs Ihnen ja gesagt‹ aus.
    Warda, Bashurs Schwester, beobachtete sie der Reihe nach. Sie hatte beim Kapitän begonnen und verweilte nun auf Abdul. »Sie war eine Erscheinung von absoluter Schönheit« – ich versuche, die Worte des Seemanns in der Nacht auf dem großen Fluss zu rekonstruieren –, »groß gewachsen, das Gesicht harmonisch, mit den ausgeglichenen Zügen einer mediterranen Orientalin, beinahe hellenisch. Die großen schwarzen Augen hatten einen langsamen, intelligenten Blick, in dem Eile oder eine zu offensichtliche Gefühlsregung auf undenkbare Art gestört hätte. Das schwarze, ins Bläuliche spielende Haar, dick und schwer wie Honig, fiel ihr auf die geraden Schultern, wie die der Koroi im Museum von Athen. Die schmalen Hüften, deren sanfte Kurve in zwei lange, etwas füllige Beine überging, welche ebenfalls denen irgendwelcher Venusstatuen im Vatikanischen Museum glichen, gaben dem aufrechten Körper endgültig einen femininen Hauch, der sogleich ein gewisses knabenhaftes Aussehen vergessen ließ. Die üppigen, straffen Brüste vollendeten noch die Wirkung der Hüften. Sie trug eine blaue Alpakajacke über den Schultern und einen hellen, tabakfarbenen Faltenrock. Eine klassisch geschnittene Seidenbluse und ein Seidenschal mit grünen, roten und braunen Rauten, der ihr leicht um den Hals hing, trugen das Ihre dazu bei, der ganzen Erscheinung einen europäischen oder, besser gesagt, einen abendländischen Schliff zu geben, von dem man merkte, dass er beabsichtigt war. Die etwas hervorstehenden, aber perfekt

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