Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
Welche? Keiner von beiden hätte mit Gewissheit antworten können.
Wenige Tage später erreichten wir den letzten Flussabschnitt. Dort breitet sich das Wasser über ausgedehnte Moore, Mangrovensümpfe und Felder aus, die beinahe das ganze Jahr hindurch überschwemmt sind. Es ist schwierig, festzustellen, wo das ursprüngliche Flussbett verläuft, und die Schiffslotsen, die bis zum Meer hinunterfahren, pflegen trotz langjähriger Praxis – die sie meistens von den Vätern ererbt haben, welche ebenfalls diesen Beruf ausübten – mit höchster Vorsicht zu navigieren und gehen nachts gelegentlich lieber vor Anker. Sich in den Mangrovensümpfen und Lagunen zu verirren, kommt dem fast sicheren Verlust des Schiffs gleich und bedeutet für Fahrgäste und Mannschaft eine große Gefahr. Schonungslos brennt die Sonne auf die grenzenlose Wasserfläche, blendet die Lotsen, und schon oft sind die Insassen eines Schiffs verhungert und verdurstet, von der Sonne verbrannt und von den Insekten aufgefressen worden. Wenn man außerdem unbeschadet zehn Lastkähne mit Raffinerieprodukten und dazu noch einige leere zum Hafen bringen muss, nehmen die Schwierigkeiten beträchtlich zu. Nachts Halt zu machen und am unsicheren Ufer des Hauptflussbetts vor Anker zu gehen, ist eine unantastbare Regel für Schlepperkapitäne im Dienst der Erdölgesellschaften.
Je näher wir dem Delta kamen, desto größer wurde die Hitze. Über dem Steuerhausdach, wo unsere Stühle standen, spannte die Mannschaft ein riesiges Moskitonetz auf, das wie ein Zelt in der Wüste leuchtete. Sie wussten, dass bei ausgeschalteter Klimaanlage, da nachts die Schiffsmotoren ruhten, in den Kajüten an Schlaf nicht zu denken war. So veränderte sich der Ablauf unseres Lebens an Bord, ohne dass wir es recht merkten: Tagsüber, während der Schlepper fuhr, schliefen wir, und nachts richteten wir uns auf dem kleinen Deck ein und warteten, geschützt vor den Mücken, auf die Morgendämmerung.
I n diesen langen Nächten erzählte mir Iturri seine Geschichte. Zeuge einiger der entscheidenden Momente im Leben der Alción und damit ihres Kapitäns gewesen zu sein, gab mir das Recht, seines Vertrauens teilhaftig zu werden. »Das ist das erste und letzte Mal, dass ich davon spreche. Nachher können Sie es jedem weitererzählen, wenn Sie wollen. Das spielt keine Rolle und geht mich nichts an. In Wirklichkeit gibt es Jon Iturri nicht mehr. Den Schatten, der mit seinem Namen durch die Welt zieht, kann nichts mehr berühren.« Das sagte er ohne Traurigkeit, eigentlich nicht einmal mit der Ergebenheit der Besiegten, sondern in unpersönlichem Ton, als erklärte er vom Katheder herab einen chemischen Prozess. Er sprach mehrere Nächte hintereinander, und ich unterbrach ihn nur wenige Male, wenn ich einen Ort lokalisieren, eine beiderseitige Erinnerung verstärken wollte, um sie zu präzisieren. Er verlor sich weder in nebensächlichen Überlegungen noch in minuziösen Beschreibungen, fiel aber oft in ein langes Schweigen, das zu unterbrechen ich mich hütete. In solchen Momenten kam er mir vor wie jemand, der an der Wasser-Oberfläche erscheint und Luft holt, bevor er wieder in die Tiefe hinabtaucht. Es ist der Mühe wert, die Erzählung von ihrem eigentlichen Beginn an wiederzugeben, auch wenn dieser nur eine Geschäftsanekdote mehr ist, wie das Leben aller Schiffskapitäne voll von ihnen ist. Das Schicksal begann seine Fäden von allem Anfang an zu spinnen, und es ist interessant, seine Machenschaften zu verfolgen.
Das erwähnte Paar, der Libanese und sein Teilhaber, mit denen Iturri in Antwerpen zu Abend gegessen hatte, suchte ihn drei Tage später im Hotel erneut auf. Der Reeder aus Beirut, ein Mann von bedächtigem Auftreten und liebenswürdigen Worten, die jedoch nie salbungsvoll wurden, gab ihm zu verstehen, er wolle ihm ein Geschäft vorschlagen. Iturri habe ihm den besten Eindruck gemacht, und er habe sich erlaubt, einige Nachforschungen über seine berufliche Tätigkeit als Schiffskapitän anzustellen, die seinem guten Namen das beste Zeugnis ausstellten. Sein Freund und Partner hier sei nicht an dem beteiligt, was er ihm vorschlagen wolle, aber er gelte als Familienmitglied und könne wertvolle Angaben zu dem Geschäft beisteuern, das sie ihm zu unterbreiten hätten. Ob sie alle drei noch heute zusammen essen könnten? Iturri willigte ein, nicht ohne eine gewisse Unruhe. An dieser Stelle legte der Baske wieder besonderen Nachdruck auf den Charakter der beiden
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