Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
kein großes Vertrauen schenken. Aber das ist Ihre Sache. Möglicherweise bin ich allzu misstrauisch.« Wieder schaute er sie an, und dass sie sich umgezogen hatte, verwirrte ihn ein wenig – in dem Sinn, dass ihm ihre Schönheit erneut die Sprache raubte. Sie trug ein schlichtes Baumwollkleid mit großen Blumen in verschiedenen Pastelltönen. Wieder lag über ihren Schultern eine Jacke aus naturfarbener Wolle. »Ich vermutete Sie bereits in Wien«, bemerkte er, um etwas zu sagen. – »Aber wie konnten Sie annehmen, ich würde gehen, ohne mich von meinem Partner zu verabschieden? Außerdem gibt es da noch einige Dinge, über die wir sprechen müssen. Haben Sie schon eine Verabredung fürs Abendessen?« – »Nein, ich bin frei. Wo möchten Sie essen?« Die Aussicht, allein mit ihr zu speisen, stimmte ihn freudig und neugierig zugleich. »Ich weiß nicht, ob Sie ein großer Frutti-di-Mare-Liebhaber sind. Mich langweilen sie ein wenig. In der Straße hinter Ihrem Hotel gibt es eine jugoslawische Kneipe. Sollen wir uns um acht Uhr dort treffen?« Er konnte sich nicht beherrschen und schlug vor, sie in ihrem Hotel abzuholen. »Sehr liebenswürdig von Ihnen, aber ich kann ganz gut allein auf mich aufpassen, und es macht mir Spaß, gemütlich die paar Schaufenster in der Hauptstraße anzuschauen. Männer verdrießt so etwas meist.« Immer lag in Wardas Worten etwas wie eine verborgene Aufforderung, ihr mit einem Kompliment zu antworten. Wenigstens kam es Iturri so vor, und beinahe hätte er gesagt, das langweile ihn überhaupt nicht, sondern erscheine ihm im Gegenteil sehr reizvoll. Aber er tat es nicht. Ein hellsichtiger Instinkt brachte ihn von solchen Versuchungen ab. In der Art, wie sie mit ihm und auch mit Abdul und seinem Kollegen sprach, lag ein Nachdruck, ein Anflug von Autorität, der dieses leichtfertige Tändeln nicht zuließ, mit dem viele Frauen gern spielen. Also bekräftigte Jon nur, er werde zur vereinbarten Stunde dort sein, und sie verabschiedete sich mit dem gewohnten Händedruck. Jon hatte die Lust verloren, die besagten Listen durchzusehen, und ging zum Schiff, um den Obermaat, einen Algerier mit finsterem Blick, aber sanftem Charakter und gemessenen Bewegungen, die ihm volles Vertrauen einflößten – anzuweisen, die erforderlichen Leute anzuheuern, zumindest so viele, wie man für die erste Reise brauchte. Zuerst wollte er nach Hamburg, wo ihm einige Freunde, Kaffeehändler, eine Fracht für die skandinavischen Länder und einige baltische Häfen mitgeben könnten.
Als er im Restaurant eintraf, wartete sie schon auf ihn. Ironisch bemerkte er, anscheinend gebe es auf dem Weg vom Hotel hierher nicht sehr interessante Schaufenster. »Weder interessante noch sonst welche – gar nichts. Diese Stadt ist tot, gerade gut für weltfremde Sommerfrischler. Solche Orte deprimieren mich leicht.« Iturri dachte, die Erziehung der jüngeren Bashur-Schwester habe der Familie wohl manche Kopfschmerzen bereitet. Das Essen war ausgezeichnet und der Wein noch besser: ein etwas prickelnder bosnischer Weißer mit einem leicht fruchtigen, unzweifelhaft natürlichen Bukett. Sie sprachen von Hamburg, von Zukunftsprojekten und wie sie es anstellen sollten, um miteinander in Verbindung zu bleiben. Sie würde dem Kapitän die Nummer eines Postfachs in Marseille geben, und von da würde man ihr die Briefe dorthin schicken, wo sie sich gerade aufhielte. Er fragte sie, ob sie vorhabe, viel zu reisen. »Wegen der Post«, erklärte er, »nur wegen der Post.« – »Weswegen könnte es denn sonst sein?« Ihr Ton war herzlich-herausfordernd. »Neugier, reine, schlichte Neugier. Wir Männer sind normalerweise sehr viel neugieriger als die Frauen. Wir können es bloß besser kaschieren«, antwortete er im selben Ton. Sie sagte, genau in diesem Zusammenhang wolle sie mit ihm über etwas sprechen: »Bis jetzt habe ich unter der Kontrolle meiner älteren Schwestern und meiner Brüder gelebt. Aber diese sind nicht so streng gewesen, wie man das bei einer moslemischen Familie annehmen könnte. Meine Schwestern waren es, die die Aufgabe übernommen und gewissenhaft ausgeführt haben. Das hatte einen gewissen Sinn, als ich noch minderjährig war. Aber jetzt bin ich vierundzwanzig, und das Ganze ist nicht nur unerträglich, sondern auch lächerlich. Meine Schwestern, beide verheiratet, sind die typischen resignierten Frauen, die für die Geschäfte ihrer Männer Interesse nur vortäuschen, die sich der Kinder annehmen und das Haus in
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