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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Álvaro Mutis
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schlafen, erforderte allerhand Akrobatik, die sie nicht aus dem Lachen herauskommen ließ. Dank der festen, ganz klaren Abmachung, sie nicht mit Folgen für die Zukunft zu belasten noch zu versuchen, sie auf eine dauerhafte Verpflichtung hinzuführen, wurde ihre Beziehung enger. »Solange das anhält, wird es so sein wie jetzt. Anders wird es nicht sein können, das wissen wir beide ganz genau. Wichtig ist es, die Situation nicht verändern zu wollen und nicht zuzulassen, dass andere es versuchen könnten. Das hängt ganz von uns ab, und nun lass uns nicht mehr darüber sprechen, denn es ist nicht nur langweilig, sondern auch unnütz.« So lautete Wardas Definition, während die beiden, mit einiger Skepsis, versuchten, ein in Tundrakräutern zubereitetes Rentierfilet zu verzehren, begossen mit eisgekühltem, mit Pfeffer und Ingwer gewürztem finnischem Wodka. Sie hatten sich in das kleine Hafenrestaurant mit dem gekachelten Kamin inmitten des winzigen Gastraums verliebt; die sechs Tische wurden von zwei sehr heiteren Frauen im reifen Alter bedient, die nur finnisch sprachen. Daher hatten sie in der Zusammenstellung des Menüs eine unumschränkte Gewalt. Als Jon Warda ein Gläschen dieses von der Kälte dickflüssig wie Öl gewordenen Wodkas nach dem andern trinken sah, erinnerte er sie daran, wie sie an dem Tag, an dem sie sich kennen gelernt hatten, in der Hotelbar auf Alkoholisches verzichtet hatte, genau wie ihr Bruder Abdul. »Hier liegt der ganze Schlüssel zu meinem Problem und, ganz allgemein, zu dem vieler Moslems: eine oberflächliche Unterwerfung unter Gebote, mit denen wir zu feilschen pflegen, und das Vergessen bestimmter grundlegender Wahrheiten.« Er sagte, nun sehe er sie ohne jede Zurückhaltung Alkohol trinken. Sie entgegnete etwas, woran sich Jon später wie an eine erste, nicht weiter beachtete Ankündigung erinnern sollte: »Ja, jetzt trinke ich Wodka und schlafe mit einem Christen, aber mit jedem Tag wird mir Europa fremder und uninteressanter, dafür verstehe ich meine Brüder immer besser, die nach Mekka reisen, ohne lesen und schreiben zu können und ohne den Wein zu kennen, und die sich klaglos in die Strafe der Wüste schicken.«
    Auf Helsinki folgten weitere Begegnungen – in Le Havre, Madeira, Veracruz und Vancouver. Warda hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, in den Zeiten seiner Hafenaufenthalte mit ihm in der Kajüte zusammenzuleben. Fast nie besichtigten sie die Stadt, und ihr Leben pflegte, genau wie in Helsinki, in den Hafenrestaurants und -bars stattzufinden. Wardas Auftritt in diesen Lokalen war ein Schauspiel, das immer gleich ablief. Kaum erschien sie in der Tür, wandten sich sämtliche Gäste um und betrachteten sie in fast andächtigem Schweigen. Hierauf folgte eine Welle von Getuschel, die allmählich verebbte, je mehr sich das Paar in sein Gespräch vertiefte, ohne die Anwesenden zu beachten. Dann drehten nur noch einige wenige, die der Anziehung einer solchen Schönheit nicht widerstehen konnten, ab und zu diskret den Kopf nach Warda um. Was Jon amüsierte, war ihre immer gleiche Art, auf diese Aufmerksamkeit der Leute zu reagieren. Mit leichtem Erröten vertiefte sie sich noch mehr ins Gespräch mit ihrem Freund, als wollte sie fremder Neugier entgehen. Nie bemerkte er an ihrem Blick oder Ausdruck das geringste Anzeichen dafür, dass sie sich der viel sagenden Blendung, die sie bewirkte, bewusst gewesen wäre oder mit ihr hätte umgehen können. Es war, als ereignete sich das in einer andern Dimension der Welt, in der sie sich vollkommen fremd fühlte.
    Die Beziehung der beiden Liebenden nahm innerhalb der Regeln ihren Fortgang, die sie am ersten Tag aufgestellt hatten, als sie in Lissabon miteinander ins Bett gingen. Sie hatten bestimmte humoristische Mittel, bestimmte Wort- und Zärtlichkeitsschlüssel gefunden, die sie immer simultan anwandten und die ihnen dazu dienten, die geringste Anspielung auf eine Verpflichtung in der Zukunft zu verscheuchen. Das Weiteste, worauf sie sich in dieser Hinsicht hinauswagten, war, den Hafen der nächsten Begegnung zu bestimmen. So verbrachten sie ein langes Jahr, bis Iturri nach Punta Arenas kam.
    Er hatte vereinbart, sich dort mit Warda zu treffen, denn sie wollte ihn auf einer Fahrt durch die Karibik begleiten, die sich dank einiger alter Bekannten von ihm auf den Inseln ergeben hatte. Es waren kurze, sehr gut bezahlte Strecken mit einer problemlosen Fracht. Als er an den Molen des costaricanischen Hafens anlegte, sah er sich statt

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