Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
zu Mittag, einem Restaurant mit angenehmer Atmosphäre und sehr schöner Aussicht auf das Tal, in dem die Stadt liegt. Die Speisekarte versuchte – nicht durchweg erfolgreich –, die Geheimnisse der galicischen Gerichte wiederaufleben zu lassen. Ich fuhr mit Bashur zum Flughafen, wo wir uns verabschiedeten. Während er mir die Hand drückte, legte er mir die andere auf die Schulter und sagte mit aufrichtiger Herzlichkeit: ›Pflegen Sie das Schiff, als wärs Ihr Schutzengel. Viel Glück, Kapitän.‹
Als Iturri nach Punta Arenas zurückkam, hatte sich Warda schon in der Kajüte eingerichtet. Sie war kurz nach Abdul eingetroffen. Aus der Ferne hatte sie die beiden auf der Kommandobrücke gesehen und ihr Gehen abgewartet, ehe sie an Bord stieg. ›Ich vermutete schon, dass er kommen würde. Deshalb wollte ich euch lieber allein lassen. Abdul hat viel von einem fahrenden Ritter. Wir haben uns immer sehr gemocht. Bei seinen Geschäften kann er unerbittlich sein, aber als Freund ist er vorbildlich. Er hat etwas von einem moslemischen Heiligen. Der Gaviero, der seit einigen Jahren mit ihm und der Triesterin zusammen ist, behauptet, wenn Abdul einmal nach Mekka geht, wird man ihn dort gleich festhalten, um ihn zu Lebzeiten heilig zu sprechen.‹ Am nächsten Tag liefen sie nach Panama aus, um in die Karibik einzufahren. Jon erzählte mir, als sie von Punta Arenas ausgelaufen seien, habe ihm Warda gesagt, von einer Jacht, die bei der Hafenausfahrt an ihnen vorbeigekreuzt sei, habe ihnen eine umwerfende Frau im knappsten je gesehenen Bikini auf Spanisch etwas zugerufen. Jon war froh, dass seine Freundin diese Sprache nicht gut verstand. Das Erste, was er nach seiner Rückkehr von San José getan hatte, war, ihr Bashurs Urteil über das mit dem Tramp Steamer verknüpfte Schicksal ihrer Liebesbeziehung weiterzuerzählen. Hätte Warda, die nicht abergläubisch, aber fatalistisch war, die Zweifel der Frau im Bikini, ob das Schiff heil nach Panama käme, verstanden, so hätte sie diese Worte mit denen ihres Bruders in Verbindung gebracht und sie als unheilvolle Bestätigung davon aufgefasst. »Zum Glück«, sagte er, »knüpft das Schicksal normalerweise keine so engen Maschen und ist barmherziger, als wir wahrhaben wollen.«
Die Karibikfahrt war für Warda die Offenbarung einer Welt voller Verwandtschaften und eindrücklicher Übereinstimmungen, die ihre orientalische Empfindsamkeit anregten. »Hier muss Sindbad durchgekommen sein«, rief sie, berauscht vom Klima der Inseln, von der üppigen, immer blühenden Vegetation und der Rassenvermischung der Bewohner, die so ähnlich war wie in der Levante. Über sechs Monate lang lernten sie die Antillen und Hafenstädte des Festlandes kennen. Parallel zu Wardas Begeisterung wurden zwei Begleiterscheinungen sichtbar: Die Konstruktion des Tramp Steamer wurde schwächer und zeigte schließlich deutliche Zeichen der Ermüdung, und Wardas Gemüt begann ein Heimweh nach ihrem Land und ihren Leuten zu quälen, das zunahm, je vertrauter sie mit den Reizen der Karibik wurde. Die beiden Erscheinungen gaben sich auf unterschwellige Art zu erkennen. Ihre Gefühle zu verstecken, entsprach Wardas Charakter nicht. Als sie endlich merkte, dass sich in ihr etwas veränderte und dass die Bilder, Erinnerungen und Sehnsüchte nach dem Nahen Osten nicht mehr nur in ihren Träumen auftauchten, sondern auch im Wachzustand, sprach sie sogleich mit Jon darüber. Dieser hatte schon seit einiger Zeit gewisse vage Symptome festgestellt und nahm das Geständnis seiner Freundin mit Fatalismus auf. Als sie in Kingston eintrafen, wo ihre Karibikfahrt zu Ende ging, führten sie ein langes Gespräch. Iturri fasste Wardas Worte so zusammen: »Ich glaube, der Moment ist gekommen, wo ich in mein Land zurückkehren und meine Leute wiedersehen muss. Ich gehe ohne bestimmte Absicht, ohne Plan. Es ist etwas, was meine Haut von mir verlangt, so einfach ist das. In mehreren Phasen bin ich zu verschiedenen Schlussfolgerungen gelangt: Ich will nicht Europäerin sein, ja ich könnte es niemals sein; das Wanderleben, wie wir es in diesen Monaten und etwas weniger intensiv auch zuvor geführt haben, erlebe ich als etwas, was mich von innen her aufzehrt, was bestimmte geheime Strömungen zerstört, die mich tragen und die mit meinen Leuten und meinem Land zu tun haben; du bist der Mann, von dem ich immer dachte, ich könnte mit ihm leben, du hast die Eigenschaften, die ich am meisten bewundere, aber du hast im Leben schon viel
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