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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Álvaro Mutis
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Warda Abdul Bashur gegenüber, der ihn an einen Poller gelehnt erwartete. »Eigentlich«, sagte Jon, »überraschte es mich nicht sehr, dass Wardas Bruder da war, so unerwartet das an diesem von seinen üblichen Geschäften so weit entfernten Ort auch scheinen mochte. Ich kannte die Levantiner gut genug, um zu wissen, dass sie früher oder später etwas über den Lebenswandel ihrer jüngeren Schwester würden erfahren wollen. Das ist wie ein Stammesgrundsatz, dem sich nicht einmal die europäisiertesten von ihnen entziehen können. Abduls Benehmen war zurückhaltend, aber herzlich. Er kam aufs Schiff, ging mit mir durch die Ladeluken und den Maschinenraum und zeigte sich grundsätzlich sehr zufrieden über die Alción. Als er eine Bemerkung über den wirklich elenden Anstrich des Schiffs machte, erklärte ich ihm, wenn ich es zum Streichen in irgendeine Werft brächte, würde das seine kommerzielle Nutzung für mindestens einen Monat lahm legen, und wenn ich die Besatzung dazu bestimmte, es während der Fahrten zu streichen, müsste ich gezwungenermaßen mehr Leute einstellen. In beiden Fällen würde die wirtschaftliche Leistung empfindlich zurückgehen, und unter diesen Umständen könnte der von der andern Schiffseignerin als zwingend festgesetzte Anteil nicht gedeckt werden. So hatte ich es bereits Warda erklärt, und sie hatte keine Bemerkung dazu gemacht. Bashur schaute mich halb neugierig, halb belustigt an. Dann lud er mich ein, mit ihm nach San José hinaufzufahren, während das Schiff geladen würde. Er hatte mit zwei Kunden, Kaffeeröstern, einige Geschäfte zu erledigen. Wir würden in der Stadt zu Mittag essen, und nachmittags führe ich nach Punta Arenas zurück. Am Abend noch wollte er von San José nach Madrid fliegen. Ich gab dem Obermaat einige Anweisungen und machte mich mit Bashur auf den Weg zur Hauptstadt. Ganz offensichtlich wollte er mit mir über meine Beziehung zu seiner Schwester sprechen und hatte diese Autofahrt als Vorwand dazu genommen. Tatsächlich lenkte er beim Steuern eines auf dem Flughafen gemieteten Autos das Gespräch sehr behutsam, ja mit einem Takt, für den ich ihm dankbar war, allmählich auf das ihn interessierende Thema. Bevor er weitersprach, gab ich ihm mit ziemlich brutaler, aber für mich notwendiger Offenheit zu verstehen, dass weder Warda noch ich an etwas anderes dächten, als unsere Beziehung auf dem Stand und in den Schranken zu halten, in denen sie sich jetzt befinde. Das hätten wir in aller Deutlichkeit festgelegt. Jeder von beiden sei frei, eine beliebige Entscheidung zu treffen, und es gebe weder Anlass zum geringsten Einspruch noch zu irgendwelchen dunklen Andeutungen. Das schien Bashur angenehm zu sein, der dann einige Erklärungen dazu abgab, wie seine Leute diese Probleme und den Versuch weiblicher Emanzipation im Nahen Osten sähen. Nichts, was ich nicht schon gewusst hätte, aber ich hörte ihm aufmerksam zu, da ich es als Wunsch verstand, sich für seine Einmischung in unsere Angelegenheiten zu entschuldigen. Dann wies er auf Wardas sehr eigenwilligen Charakter hin. Bis vor kurzem sei sie die Unterwürfigste der Schwestern gewesen, diejenige, die am wenigsten Interesse dafür zeigte, zu erfahren, was das Abendland zu bieten hatte. Da sie aber gleichzeitig die Verschlossenste, Fantasievollste und Sensibelste der drei war, empfand Abdul ihren Wunsch, die europäische Erfahrung zu machen, als natürlich und vernünftig. Er dachte, wie er mir als Zeichen seines Vertrauens sagte, Warda würde in den Libanon zurückkehren und schließlich die Moslemischste der ganzen Familie werden. Und nun sprach er den Satz aus, der sich zutiefst auf unser – Wardas und mein – Schicksal auswirken sollte: ›Die Beziehung mit Ihnen wird so lange dauern wie die Alción.‹ Darauf antwortete ich nichts, aber eine leichte Panik lief mir über den Körper. Ich wusste, Bashur hatte Recht – ich wusste es seit dem ersten Moment, als ich merkte, dass ich für seine Schwester nicht mehr nur ein Geschäftspartner war. Dieses unanfechtbare Urteil schwebte schon lange über unserem Kopf. Nach einem ausgedehnten Schweigen fiel mir nur die Bemerkung ein: ›Ja, vielleicht haben Sie Recht. Aber es trifft auch zu, dass das in der absoluten Gegenwart, die wir uns für unsere Beziehung auferlegt haben, nichts weiter besagt.‹ Bashur zuckte leicht die Schultern, und wir wechselten das Thema.
    Ich begleitete ihn bei seinen Geschäften in San José, und dann aßen wir im ›Rias Bajas‹

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