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Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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hat mir eine interne Studie der Bahn zugeschickt. Deren Ingenieure bestätigen Punkt für Punkt alles, was wir gegen Stuttgart 21 ins Feld führen. Und sogar noch mehr.«
    »Was wirst du damit machen?«
    »Ich kenne einen Reporter vom Stern . Arno Luik.«
    »Nie gehört.«
    »Dem hab ich’s geschickt. Er überprüft das. Und wenn es stimmt, macht er eine große Story draus. Daran kann die Bahn nicht vorbei.«
    »Ich hoffe, du unterschätzt die Macht des Geldes nicht, Martin.«
    »Es geht um die Wahrheit, Georg. Um die Wahrheit.«
    »Geld ist stärker als die Wahrheit.«
    »Diesmal nicht, Georg. Diesmal nicht.«
    Dengler wollte seinen Freund nicht entmutigen. Er legte auf.

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10. Erste Nacht
    Was meinte der Mann?
    Was verkaufe ich?
    Ich verkaufe verschreibungspflichtige Medikamente.
    Das ist mein Job.
    Mehr nicht.
    Was denkt er? Denkt er, dass ich abgelaufene Medikamente in die Dritte Welt verschiebe? Das hatte er einmal in einem Film gesehen. In einem »Tatort«, aber er war sich dessen nicht mehr sicher, vielleicht war es auch ein anderer dieser zahlreichen Fernsehkrimis. Kommissarin Lund fiel ihm ein, die Serie hatte ihm gefallen, aber da war es um etwas anderes gegangen … um Afghanistan.
    Um was ging es hier?
    Organhandel? Denkt der Maskierte, ich verschiebe Herzen, Leber oder Milz? Auch darüber hatte er in einem Kriminalroman gelesen. Mankell? Er dachte nach. Auf den vielen Flugreisen las er entweder Geschäftsmemos oder Krimis. Vor ein paar Jahren war er Mankell-süchtig gewesen. Seine Frau hatte den Schweden nicht gemocht. Zu blutrünstig, sagte sie. In einem der Bücher ging es auch um etwas Medizinisches. Jetzt fiel es ihm wieder ein: Menschenversuche in Afrika. Aber nichts davon betraf ihn. Nichts davon betraf Peterson & Peterson . Die klinischen Tests wurden meist von Kliniken in den USA durchgeführt. Manche in Frankreich, einige in Deutschland. Aber da lief alles nach Vorschrift.
    Der ewige Gärtner fiel ihm ein. Er hatte den Film gesehen, aber konnte sich nicht mehr genau erinnern. Ralph Fiennes hatte die Hauptrolle gespielt. Das wusste er noch. Er wusste auch noch, dass er den Film auf DVD gesehen hatte und dass er in Afrika spielte.
    Aber er hatte mit Afrika nichts zu tun. Gar nichts.
    Aber das schien der Entführer nicht zu wissen.
    Was verkaufen Sie wirklich?
    »Medikamente«, schrie er, so laut er konnte.
    Dann: »Hilfe!«
    Zehnmal. Hundertmal.
    Bis er müde wurde und einschlief.
    In der Nacht musste er scheißen.
    Im Dunkeln hockte er auf dem Eimer. Mit beiden Händen tastete er nach dem Toilettenpapier.
    Was verkaufen Sie wirklich?
    Ein Irrer, dachte er. Ich bin einem Irren in die Hände gefallen.

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11. Haftschock
    Die Dame im blauen Kleid hatte für ihn ein Hotel nur wenige Schritte von der U-Bahn-Station Stadtmitte gebucht.
    Lehmann bot ihm an, Kopien der Akten mitzunehmen, aber Dengler lehnte ab. Er wollte sich nicht mit dem Fall beschäftigen. Er wollte zunächst nur den Mann sehen und feststellen, ob er log oder nicht.
    Er wollte ihn unvoreingenommen sehen, den mutmaßlichen Kindsmörder.
    Am Abend schlenderte er durch die Friedrichstraße. Es war warm. Viele Touristen und Einheimische waren unterwegs. Die einen studierten Straßenkarten, die anderen drückten sich die Nase an den Schaufenstern platt. Dengler bog in eine Seitenstraße ein, die Rudi-Dutschke-Straße hieß.
    Die Zeiten ändern sich, dachte er. Als ich noch Polizist war, lebte Dutschke schon nicht mehr, galt aber immer noch als eine Art Staatsfeind erster Güte. Jetzt benannte man Straßen nach ihm. Gedankenverloren lief Dengler weiter, plötzlich blieb er verblüfft stehen: Die Fassade eines der Häuser, offenbar ein Bürogebäude, war mit einer Kunstinstallation verziert, in deren Zentrum das Relief eines nackten Mannes stand. Auch wenn die Proportionen dieser männlichen Gestalt leicht verzerrt waren, war sein Gesicht doch ein ganz normales Durchschnittsgesicht. Doch was sofort jedem Betrachter ins Auge fiel: Der Penis dieses Mannes war nicht nur sehr dick, sondern besaß eine unglaubliche Länge. Er reichte vom unteren Stockwerk bis zum obersten Geschoss. »Friede sei mit Dir« stand dort in roten Lettern geschrieben auf weißem Untergrund, unmittelbar unterhalb des Daches an der Penisspitze, und Dengler fragte sich, ob dieser Wunsch wohl für den erstaunlichen Penis gelten sollte, der an einer Gruppe sonderbarer Figuren mit Schrifttafeln im zweiten Stock vorbeiführte, ebenso an einer älteren Dame

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