Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
Vom Netzwerk:
stehen, vermied aber jede Berührung. Mit einer schnellen Bewegung schob er die Hand vor, zog sie aber sogleich mit einem Ruck wieder zurück.
    »Setz dich, Bernhard«, sagte er und ging zurück an den Tisch.
    Voss ging mit kleinen, fast tippelnden Schritten auf den Tisch zu und setzte sich. Den Oberkörper hielt er aufrecht. Seine Füße schlang er um die Stuhlbeine.
    »Haftschock. Bernhard, du hast einen Haftschock«, sagte Lehmann.
    Der Gefängnisbeamte schlug die Tür hinter sich zu. Vossreagierte auf den Knall mit einer plötzlichen Erweiterung der Pupillen.
    »Das ist Herr Dengler. Er ist privater Ermittler. Er wird uns bei deiner Verteidigung helfen.«
    Voss wendete seinen flackernden Blick auf Georg Dengler, als würde er ihn erst jetzt wahrnehmen.
    »Geht es dir halbwegs gut, Bernhard?«, fragte Lehmann. »Brauchst du einen Arzt?«
    Voss bewegte den Kopf in einer seltsamen kreisenden Bewegung, die sowohl von rechts nach links und zurück als auch von oben nach unten ging. Es war eine Antwort, die sowohl Ja als auch Nein bedeuten konnte. Der Speicheltropfen löste sich von seinem Mundwinkel und landete auf dem Tisch.
    »Bauchschmerzen. Ich hab Bauchschmerzen. Hoffentlich bekomme ich keinen neuen Schub.«
    »Ich kümmere mich um einen Arzt. Können wir über deine Verteidigung reden?«, fragte Lehmann.
    Erneut die seltsam kreisende Kopfbewegung, die Dengler weder als Zustimmung noch als Ablehnung deuten konnte.
    Voss wandte sich ihm zu.
    »Ich muss hier raus«, flüsterte er. »Ich hab große Schmerzen.«
    »Deshalb sind wir hier. Wir wollen, dass du so schnell wie möglich wieder bei deiner Familie bist. Herr Dengler hat ein paar Fragen an dich.«
    Abrupt richtete Voss den Blick auf ihn, und Dengler sah erneut in die beunruhigend schnell flackernden Augen.
    »Erinnern Sie sich an den Abend, an dem der Mord geschehen ist?«, fragte Dengler. »Erzählen Sie uns, an was Sie sich erinnern.«
    Für einen Moment wanderten Voss’ Pupillen nach links oben.
    »Ich war zu Hause. Ich hab’s der Polizei schon gesagt. Ich war zu Hause. Davor war ich mit meinem Bruder unterwegs. Wir hatten getrunken. Ich war müde. Christine – meine Frau – war nicht da. Ich bin auf der Couch eingeschlafen und in der Nacht aufgewacht. Dann habe ich geduscht und bin ins Bett gegangen. Am Morgen ging ich in die Charité, ins Institut, wie immer. Dann … dieses Theater, der Wirbel, die Blitzlichter, ich wurde verhaftet.«
    »Waren Sie stark betrunken?«
    »Was heißt stark?«
    »Na ja – waren Sie noch Herr Ihrer Lage?«
    »Ich erinnere mich, wie ich geduscht habe. Aber an die Heimfahrt davor kann ich mich nicht mehr erinnern.«
    Dengler suchte den Blick von Voss.
    »Haben Sie dieses Mädchen ermordet?«
    Das Flackern wurde schneller.
    »Haben Sie dieses Mädchen ermordet?«
    Voss senkte den Blick auf den Tisch.
    »Ich habe niemanden ermordet. Es ist ein Albtraum«, sagte er leise.
    Wieder streichelte er mit der rechten Hand kreisend seinen Bauch. Dann legte er plötzlich Lehmann eine Hand auf den Arm.
    »Hol mich hier raus, Hartmut. Ich muss wieder zurück ins Institut. Ich war’s nicht. Das Ganze ist völlig absurd.«
    Wenige Minuten später gingen Dr. Lehmann und Georg Dengler schweigend die Gänge zurück zum Ausgang. Der Wachposten gab ihnen die Telefone zurück.
    Dengler war froh, als er wieder draußen in der Sonne vor dem Gefängnis Moabit stand. Immer noch schweigend gingen sie den Weg bis zu Lehmanns Mercedes.
    In einem Café in der Friedrichstraße bestellten beide einen doppelten Espresso.
    »Nun, was ist Ihr Eindruck? Was sagt die FBI – Schule?«
    »Um ehrlich zu sein – ich weiß es nicht. Voss steht unter Schock.«
    »Er hat einen Haftschock. In den ersten beiden Nächten legen sie einen neuen Untersuchungsgefangenen immer miteinem anderen Häftling zusammen, um dem Haftschock entgegenzuwirken. Ich werde mit der Anstaltsleitung reden, dass diese Maßnahme verlängert wird. Außerdem braucht Bernhard einen Arzt. Auch darum muss ich mich kümmern. Was meinen Sie – hat er es getan?«
    »Es kann sein.«
    »Werden Sie mir bei seiner Verteidigung helfen?«
    Dengler schwieg.
    »Lesen Sie wenigstens die Akten.«
    Dengler schüttelte den Kopf. Er wollte zurück zu Olga.
    »Entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte er, stand auf und trat aus dem Café hinaus ins Freie. Träge und hupend schob sich der Verkehr durch die Friedrichstraße. Dengler wählte Olgas Nummer.
    »Ich bin in Berlin, und mein Kunde möchte,

Weitere Kostenlose Bücher