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Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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endlich kommt.
    Er hob den Kopf, als er endlich hörte, wie sich der Schlüssel zweimal im Schloss der schweren Tür drehte. Assmuss sprang von seinem Bett auf und strich mit der rechten Hand die Decke glatt.
    Die nervöse Anspannung verursachte ein leichtes Kribbelnzwischen seinen Schulterblättern; immer wieder kratzte er sich an dieser Stelle, ohne dass das Kribbeln nachließ.
    Wir verkaufen Hoffnung.
    Er hatte die Aufgabe gelöst.
    Außerdem hatte er Hunger.
    Sein Entführer trug die gleiche schwarze Kleidung und die gleiche Wollmaske wie am Tag zuvor. In der linken Hand hielt er eine weiße Plastiktüte, unter dem rechten Arm einen Packen Zeitungen.
    Dann folgte der schon fast zum Ritual gewordene morgendliche Ablauf: Duschen, Eimer ausleeren, Frühstück mit Bagels, der Entführer kochte einen Espresso, schwarz und stark.
    Dann räumte der Entführer die Tassen ab und steckte die gebrauchten Servietten in die Plastiktüten zurück.
    »Wie heißen Sie eigentlich?«, fragte Assmuss.
    Der Maskierte lachte. Durch die Maske klang es dumpf und rau.
    »Nennen Sie mich Henry.«
    Henry also.
    Machen wir Konversation, Henry. Schaffen wir eine positive Atmosphäre, Henry.
    »Sie haben mir Zeitungen mitgebracht, Henry. Das ist sehr freundlich. Um ehrlich zu sein, gestern war es mir ein bisschen langweilig.«
    Henry setzte sich gegenüber.
    »Sie werden nicht vermisst.«
    »Bitte?«
    »Sie werden nicht vermisst.«
    »Ich werde nicht vermisst?«
    Assmuss lachte.
    »Also wirklich, Henry. Ich und nicht vermisst werden. Also, der Witz ist nun wirklich nicht gut.«
    Henry schob ihm die Zeitungen über den Tisch. Dirk Assmuss blätterte in der Süddeutschen , dann im Tagesspiegel , der Berliner Zeitung und schließlich in der Bild . Nirgends fand er einen Bericht über seine Entführung.
    Er begann von vorne, befeuchtete seinen Zeigefinger, um schneller die Seiten zu wenden und die Texte zu überfliegen – nichts, kein Artikel, kein Foto, nichts.
    »Die Polizei wird eine Nachrichtensperre verhängt haben, Henry.«
    »Legen Sie die Hände auf den Tisch!«
    »Was soll ich machen?«
    »Hände auf den Tisch!«
    Dies war nun kein Konversationston.
    Assmuss legte beide Hände vor sich auf den Tisch. Etwas läuft falsch, dachte er. Vielleicht sollte ich jetzt schon sagen, was ich herausgefunden habe.
    Henry stand auf, und mit einer schnellen Bewegung legte er Assmuss Handschellen an. Eine weitere schnelle Bewegung – und plötzlich zog sich ein Klebeband über Assmuss’ Mund. Panik stieg in Assmuss auf.
    »Keine Angst«, sagte Henry, als er in Assmuss’ aufgerissene Augen sah. »Ich rufe jetzt die Polizei an.«
    Er zog ein kleines Handy aus der Jackentasche und öffnete die Akkuabdeckung auf der Rückseite des Gerätes. Aus der Gesäßtasche zog er einen Geldbeutel, den er sorgsam öffnete. Er nahm eine SIM – Karte heraus, steckte sie in das Gerät, setzte den Akku wieder ein und schloss die Abdeckung. Er legte das Telefon auf den Tisch und schaltete es ein.
    Assmuss sah, wie er den Lautsprecher aktivierte.
    Dann tippte Henry eine Nummer ein.
    112 – Notruf.
    Es läutete dreimal, dann meldete sich eine Stimme: »Vermittlung der Polizei, guten Tag.«
    »Ich möchte eine Meldung über die Entführung von Dirk Assmuss machen.«
    »Von wem?«
    »Dirk Assmuss. Er wurde entführt.«
    »Bitte, bleiben Sie am Apparat.«
    Zweimaliges Läuten.
    »Schuster«, meldete sich ein Mann.
    »Ich möchte die Sonderkommission zum Fall Dirk Assmuss sprechen.«
    Kurze Pause.
    »Wir haben keine Sonderkommission Dirk Assmuss. Wie ist Ihr Name?«
    »Ich weiß, wo Dirk Assmuss ist.«
    »Vielleicht sagen Sie mir erst mal Ihren Namen. Handelt es sich um eine Vermisstenmeldung?«
    »Sagt Ihnen der Name Dirk Assmuss nichts?«
    »Nein. Aber wir haben in Berlin jedes Jahr mehr als …«
    »Mit wem spreche ich?«
    »Schuster. Dezernat für Vermisstenmeldungen.«
    Henry trennte die Verbindung.
    Er wählte eine neue Nummer.
    »Assmuss«, hörte Assmuss seine Frau sagen.
    »Hallo, Frau Assmuss, wir hatten gestern telefoniert. Wissen Sie schon, wann Ihr Mann zurückkommt?«
    »Er hat mir eine SMS geschickt. Es dauert wohl noch etwas«, hörte Assmuss sie in dem fröhlichen Ton sagen, den er so gut kannte.
    »Er ist immer noch auf dem Kongress in Hawaii?«
    »Ja, und das scheint etwas länger zu dauern.«
    »Sagen Sie Ihrem Mann einen Gruß. Von Henry. Ihr Mann erinnert sich am besten an meinen Vornamen: Henry.«
    »Mache ich gern.«
    »Danke und

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