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Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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diesem modernen Mediziner zu passen schien. Ein schmaler Schlauch mit einem Schreibtisch auf der rechten Seite, einem Untersuchungstisch auf der anderen Seite, einigen Schränken, einem Bildschirm und verschiedenen elektronischen Untersuchungsgeräten. Der Ausblick durch das Fenster zeigte eines der anderen Forschungsinstitute. Der Schreibtisch wirkte chaotisch, übersät mit Papieren, Krankenakten, Röntgenbildern sowie handschriftlichen Aufzeichnungen.
    Dengler setzte sich vorsichtig auf den Besucherstuhl, der mitten im Zimmer stand. Rüdiger Voss setzte sich an den Schreibtisch und drehte sich zu Dengler um.
    »Sie sind also der Privatdetektiv, der meinem Bruder helfen soll?«
    »Das bin ich.«
    Voss sah ihn skeptisch an: »Ich hoffe, Sie können etwas für ihn tun.«
    »Halten Sie es für denkbar, dass Ihr Bruder das Mädchen umgebracht hat?«
    »Nein. Natürlich nicht.«
    »Sie wissen, dass Sperma Ihres Bruders an der Leiche des Mädchens gefunden wurde, dass Fasern seines Jacketts an der Leiche sichergestellt wurden und dass der Wagen Ihres Bruders in der Nacht geblitzt wurde?«
    »Ich weiß das alles, und ich habe keine Erklärung dafür. Ich bin mir jedoch sicher: Mein Bruder ist kein Mörder. Ich kenne ihn. Seit ich auf der Welt bin.«
    »Nehmen wir an, jemand hat das inszeniert, um Ihrem Bruder zu schaden. Können Sie sich einen Grund vorstellen?«
    »Nein. Das ist ausgeschlossen. Mein Bruder hatte keine Feinde. Er hatte Konkurrenten, als er sich um den Lehrstuhl bewarb, aber die sind längst anderswo untergekommen. Nein, es muss eine Verkettung unglücklicher Umstände sein. Der wirkliche Mörder läuft da draußen noch rum.«
    »Ihr Bruder hat ein Medikament überprüft. Gegen Morbus Crohn. Was hat es damit auf sich?«
    »Darüber sprachen wir, als wir an diesem unglückseligen Abend im Zwiebelfisch saßen. Die Testreihe, die mein Bruder betreute, ging zu Ende. Und die Ergebnisse waren gut. Er freute sich darüber, denn er leidet selbst an dieser Krankheit.«
    »Gute Ergebnisse – das bedeutet?«
    »Das Medikament war wirksam. In dem umgrenzten Therapieumfeld würde es vielen Menschen helfen. Eine gute Nachricht.«
    »Wurde durch dieses Medikament irgendjemandem geschadet? Könnte ein Motiv erkennbar sein, Ihrem Bruder …?«
    Rüdiger Voss winkte ab.
    »Nein, alle werden davon profitieren. Die Kliniken, der Hersteller, die Ärzte, die Patienten, alle.«
    »Ich habe Ihren Bruder im Gefängnis kennengelernt. Er stand unter Haftschock. Können Sie mir Ihren Bruder beschreiben – unter normalen Umständen?«
    »Mein Bruder? Er ist ein großartiger Mensch. Er war immer mein Vorbild. Ein richtiger älterer Bruder. In der Grundschule konnte ich gegenüber den viel stärkeren Rowdys in meiner Klasse auf dem Pausenhof immer etwas frecher sein, weil ich mit meinem großen Bruder drohen konnte. Wahrscheinlich bin ich auch nur deshalb Mediziner geworden, um ihm nachzueifern.«
    »Seine Frau erzählte mir, Sie seien lustiger und trinkfester als er.«
    Rüdiger Voss lachte: »Das stimmt. Wir hatten strenge, konservative Eltern. Er hat sich alles erkämpfen müssen, Dinge wie samstags ausgehen, Jeans und weiße Turnschuhe tragen. Rockmusik war zunächst verboten. Disco. All diese Dinge. Aber er hat den Weg freigekämpft. Bei mir waren die Eltern dann milder; ich hatte es einfacher. Ich bin in seinem Fahrwasser geschwommen. Dafür bin ich ihm immer dankbar. Aber vielleicht war er wegen dieser Vorreiterrolle auch immer der ernstere Typ von uns beiden.«
    »Sie sind beide Wissenschaftler geworden?«
    »Bernhard ist ein richtiger Wissenschaftler. Auch darin folge ich ihm, aber nicht mit der gleichen absoluten Konsequenz. Ich bin dafür näher am Patienten als er.«
    Als er Denglers fragendes Gesicht sah, erläuterte er: »Bernhard beschäftigt sich mit der Wirkung von Substanzen, Medikamenten und so weiter. Er forscht. Ich heile direkt am Menschen.«
    »Kennen Sie das karierte Jackett, das die Polizei sichergestellt hat?«
    »Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bernhard so was trägt.«
    »Nach den Ergebnissen der kriminaltechnischen Untersuchung und der Beschlagnahmung in seinem Schrank: Ja,er trägt so etwas. Kommen wir noch mal zu dem Tatabend: Ihr Bruder war betrunken, als sie ihn nach Hause gebracht haben.«
    »Wir haben einiges getrunken. Aber er war auch nicht gerade sternhagelvoll.«
    »Hätte er noch fahren können?«
    »Rein technisch, sicher. Aber wenn ihn die Polizei erwischt hätte, wären es mehr

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