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Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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haben noch gelebt.«
    Sie sah ihn an, erneut mit diesem schrecklichen müden Blick.
    »Ach, das ist mir neu.«
    »Spermien leben maximal 24 Stunden.«
    »Außerhalb der Vagina. Innerhalb der Vagina können sie bis sieben Tage überleben.«
    Als sie Denglers fragendes Gesicht sah, sagte sie: »Glauben Sie mir, ich bin vom Fach.«
    Dengler verfluchte sich. Hatte der Gerichtsmediziner die lebenden Spermien nun in oder an der Leiche gefunden? Er wusste es nicht mehr.
    »Die begrenzte Lebensdauer ist eine Spur. Ich möchte diese Zeit, zunächst einmal die letzten vierundzwanzig Stunden im Leben Ihres Mannes rekonstruieren. Irgendwo und irgendwie muss er die Spermien verloren haben. Ich bitte Sie dabei um Ihre Hilfe.«
    »Die haben Sie. Ich tue alles, was ihm hilft.«
    Er zog sein schwarzes Notizbuch aus der Innentasche des Jacketts: »Schildern Sie Ihren Tag.«
    »Vierundzwanzig Stunden? Nun, dann fangen wir mit dem Abend an, bevor dieses arme Kind gefunden wurde. Bernhard kam spät aus der Charité zurück. Das ist aber nichts Besonderes. Er arbeitet oft bis spät in den Abend. Eigentlich meistens. Tagsüber klingelt das Telefon, die E-Mails treffen ein, Mitarbeiter wollen etwas von ihm. Abends kann er die Dinge erledigen, bei denen er nicht auf Mithilfe anderer angewiesen ist.«
    »Hat ihn jemand in der Charité gesehen?«
    »Das weiß ich nicht. Es würde mich aber sehr wundern, wenn er unbeobachtet gewesen ist. Es gibt immer einige Doktoranden oder andere Mitarbeiter, die ebenfalls lange da sind.«
    »Wann kam er nach Hause?«
    »So um halb zehn.«
    »Was haben Sie dann gemacht?«
    »Wir haben ein Glas Rotwein getrunken, ich habe ihm eine Scheibe Brot geschmiert, mit Münsterkäse und Apfelscheiben, das mag er gerne, und dann besprachen wir unseren Tag. Das machen wir jeden Abend – fast jeden Abend.«
    »Wirkte Ihr Mann irgendwie anders? Aufgeregt? Erregt?«
    »Ja.«
    »Ja?«
    »Er war aufgeregt. Aber das hatte den Grund, dass er kurz vor dem Ende einer Forschungsreihe stand und neugierig war, wie sie wohl ausfallen würde. Ich habe ihn in diesem Zustand schon öfter erlebt. Insofern war diese Aufregung normal. Und unser Abend auch.«
    »Wissen Sie, um was es bei der Arbeit Ihres Mannes ging?«
    »Er untersucht neue Arzneimittel auf ihre Wirksamkeit. Aufgeregt war er, weil eine Testserie für ein neues Therapeutikum gegen Morbus Crohn zu Ende ging. Das ist eine bisher unheilbare Autoimmunerkrankung der Darmschleimhäute.Bernhard leidet selbst an dieser Krankheit, wie Sie wissen. Er hat in dieser Arbeit auch große Chancen für sich selbst gesehen. Seine Forschungen sind gut verlaufen. Das ist, das war alles sehr aufregend für ihn … für uns.«
    »Und dann?«
    »Dann? Nichts. Wir gingen zu Bett.«
    »Verließ Ihr Mann in dieser Nacht noch einmal das Haus?«
    »Nein.«
    »Nein? Hätten Sie es denn bemerkt, wenn er es getan hätte?«
    »Hat er nicht. Ich schlafe leicht. Ich werde jedes Mal wach, wenn mein Mann in der Nacht die Toilette aufsucht. Und das muss er jede Nacht einmal oder zweimal. Sie verstehen?«
    »Äh, ja. Und sagen Sie, nun ja, kann es sein, dass Ihr Mann in dieser Nacht das Sperma verloren hat?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich frage mich, nun ja, ob …«
    »Ob wir in dieser Nacht Sex gehabt haben?«
    »Hm.«
    »Nein. Hatten wir nicht.«
    Dengler schwieg.
    »Sie fragen sich, ob er onaniert hat, möglicherweise?«
    »Äh, ja …«
    »Das tun alle Männer, wie wir alle wissen. Die einen mehr, die anderen weniger. Ob verheiratet oder nicht.«
    »Nun …«
    »Ich habe nichts bemerkt. Ich bemerke es aber auch sonst nicht, wenn er es tut. Es geht mich nichts an, finde ich.«
    Aber du hättest dich auf diesem Weg in den Besitz seines Saftes bringen können, dachte Dengler. Dies wäre ein Weg gewesen …
    »Haben Sie eine Haushälterin, eine Putzfrau, irgendjemand in der Art?«
    »Machen Sie keine Witze, Herr …«
    »Dengler.«
    »Herr Dengler. Es gibt eine Putzfrau, und sie war an dem Tag auch da. Aber erst viel später. Und sie hat bestimmt nicht das Sperma meines Mannes zusammengekratzt.«
    »Das ist unwahrscheinlich«, gab er zu. »Und wie ging es weiter?«
    »Am Morgen standen wir auf. Ich um sieben, er um halb acht. Ich dusche, mache mit einer meiner Töchter Frühstück, bringe ihm eine Tasse Tee ans Bett. Jeden Werktag so etwa der gleiche Ablauf. Um halb acht geht unsere Tochter aus dem Haus. Bernhard hat sich wie immer von ihr verabschiedet. Wir tranken noch eine Tasse Kaffee, dann fuhr

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