Die letzte Flucht
das darauf hindeutet, dass er Helfer angeworben hat.«
»Ich weiß«, sagte Finn Kommareck. »Ich denke ständig daran.«
***
»Ich möchte, dass Sie weiter ermitteln«, sagte Dr. Lehmann.
Sie saßen zu viert um den großen Esstisch: Lehmann, seine Frau, Georg Dengler und Olga.
»Ich habe mit Bernhards Frau und seinem Bruder gesprochen. Wir sind uns alle einig, dass Sie weiter nach Entlastungsindizien für Bernhard suchen sollen.«
»Es wäre besser, er würde sich der Polizei stellen«, sagte Dengler.
»Ich glaube, dass er es getan hat, dass er es war«, sagte Frau Lehmann.
»Aber du kennst Bernhard doch«, wandte ihr Mann ein.
»Hartmut, wer schaut schon in einen Mann hinein? Früher haben wir gesagt, jeder Mann ist ein potenzieller Vergewaltiger. Und irgendwann, da kommt es halt über ihn.«
»Aber dieses Verbrechen war genau geplant, oder?«, wandte Olga ein. »Jemand hat das Mädchen entführt. Und das kann nicht Bernhard Voss gewesen sein. Vielleicht hat er jemand den Auftrag gegeben? Aber dann kann es kein spontaner Entschluss gewesen sein. Wie man es dreht, dieser Mord war von langer Hand geplant.«
»Das sehe ich auch so«, sagte Dengler.
»Das passt sicher nicht zu Bernhards Charakter«, gab Lehmanns Frau zu.
»Und warum fährt er mit hohem Tempo durch diesen Ort, durch …«
»Erkner«, sagte Lehmann.
»Ja, Erkner, danke«, sagte Olga. »Er fährt zu schnell. Er weiß, dass er geblitzt werden kann, und zieht deshalb die Sonnenblende herunter. Sein Gesicht kann man nicht sehen, aber das Nummernschild.«
»Was auf das Gleiche herauskommt«, sagte Lehmann. »Er wird identifiziert.«
»Wenn er damit rechnete, geblitzt zu werden, dann hätte nur eines geholfen: langsamer fahren«, sagte Olga. »Sein Verhalten ist nicht logisch.«
»Er war betrunken«, wandte Lehmanns Frau ein.
»Ja, aber, trotzdem. Es ist seltsam. Und noch etwas leuchtet mir nicht ein«, sagte Olga. »Wenn er vorgehabt hat, das Mädchen an dem Tag zu vergewaltigen und zu töten, warum unternimmt er vorher eine Sauftour mit seinem Bruder? Er hat danach für die offenbar lang geplante Tat kaum noch Zeit und letztlich doch kein Alibi?«
»Außerdem«, sagte Lehmann, »muss das Mädchen irgendwo in der Nähe versteckt gewesen sein. Oder die Entführer haben es ihm angeliefert. Aber alle Telefonate, aus seinem Büro und seinem Handy, wurden von der Polizei überprüft. Alle hatten einen dienstlichen oder einen privaten Zweck.«
»Gehen wir doch einmal davon aus, dass Voss die Wahrheit gesagt hat. Nur mal so, als Arbeitshypothese. Er kam nach Hause, war betrunken, legte sich auf die Couch, in der Nacht wachte er auf, legte sich zu seiner Frau ins Bett und schlief weiter. Am nächsten Morgen hatte er einen Kater, nahm ein paar Aspirin und ging in die Charité zur Arbeit. Welche Indizien sprechen gegen diese Aussage?«
»Das Sperma an der Leiche«, sagte Frau Lehmann.
»Die Fusseln seines Jacketts«, sagte ihr Mann.
»Die Fusseln kann man auch anbringen«, sagte Dengler.
»Und das Sperma?«
»Wohl kaum.«
»Ich bitte Sie: Bleiben Sie in Berlin und helfen Sie mir«, sagte Dr. Lehmann.
Dengler sah Olga an.
»Also ich würde gern wissen, wie diese Geschichte weitergeht«, sagte sie.
»Einverstanden. Wir bleiben noch«, sagte Dengler. »Aber ich möchte nicht mehr länger Anwaltsgehilfe sein.«
Lehmann lachte: »Kommen Sie morgen in mein Büro. Wir lösen den Vertrag. Sie sind ja noch in der Probezeit.«
»Ich vermute, die strenge Kommissarin hat mir diesen Beruf ohnehin nicht abgenommen.«
»So, so«, sagte Olga, »die gestrenge Kommissarin …«
***
Bernhard Voss war müde. Sein Bauch schmerzte, und ein fürchterlicher Durchfall zwang ihn viermal in umliegende Straßencafés. Bei Kaiser’s am Untergrundbahnhof »Deutsche Oper« kaufte er sich Rasierzeug, eine Schere und einenkleinen Spiegel. Auf der Toilette der Deutschen Oper schnitt er sich mit der Schere den Bart ab. Dann rasierte er sich. Das Wasser nahm er aus der Kloschüssel. In dem Taschenspiegel beobachtete er staunend, wie sich durch die Rasur sein Gesicht veränderte. Er wirkte nun schmaler, auch jünger, wie er fand, und vor allem völlig anders als auf den Fotos, welche die Zeitungen von ihm gebracht hatten. Man würde ihn nicht mehr so leicht erkennen.
Er verließ die Oper und winkte sich ein Taxi heran.
»Fahren Sie mich bitte zur Charité.«
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33. Birgit (1)
Birgit Assmuss war aufgekratzt.
Es ist doch verrückt, dachte sie, ich gehe auf
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