Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
räusperte sich. »Genau wie das mit eurer Mum. Ich bin froh, dass ich mit meiner Familie, meiner Mutter gesprochen habe. Ich freue mich schon darauf, sie bald zu sehen.«
Amanda schenkte ihm Tee nach. »Wann wird man Sie nach Hause schicken?«
»In ein paar Tagen. Wie ich höre, gibt es Probleme bei Flügen von zivilen Flughäfen.«
»Wem sagen Sie das. Heathrow besteht praktisch nur noch aus überschwemmten Start- und Landebahnen und Stromausfällen.«
»Ich bin ziemlich sicher, dass ich bald einen Platz in einer Militärmaschine kriege.«
»Sie sind aber nicht beim Militär?«
»Nein, doch wir arbeiten häufig zusammen. Ich bin Klimawissenschaftler.« Als er in die Gewalt der Entführer geraten war, hatte er gerade sein Studium am Goddard-Institut für Weltraumstudien, einer NASA-Einrichtung, abgeschlossen. »Deshalb war ich in Spanien. Das Land ist ein Hotspot des Klimawandels. Das Landesinnere trocknet aus und verwandelt sich in eine Art Nordafrika - jedenfalls war’s damals so. Dieser ganze Regen war in den alten Klimamodellen nicht vorgesehen, und die neuesten Daten kenne ich noch nicht. Ich war gerade unterwegs, um draußen im Gelände ein paar Untersuchungen im Zusammenhang mit Geo-Satelliten-Daten über Sanddünen-Formationen in der Nähe
von Madrid durchzuführen, als - zack - mich ein Wagen von der Straße drängte.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie das für Sie gewesen sein muss.«
»Zuerst dachte ich nur: Wie soll ich jetzt meine Arbeit beenden?«
Lily erinnerte sich, dass sie im Augenblick ihrer Entführung dasselbe gedacht hatte. Ihre erste Reaktion war nicht Furcht gewesen, sondern eher Ärger darüber, aus ihrem Leben, ihren privaten Angelegenheiten herausgerissen zu werden - dazu ein nachklingender Schock über den Absturz des Chinooks, obwohl die Besatzung und die Passagiere sich hatten retten können. Anfangs war sie sicher gewesen, binnen zwei, drei oder höchstens vier Wochen freigelassen zu werden. Erst einige Zeit später war die lange Dauer ihrer Gefangenschaft in ihr Bewusstsein gedrungen, und andere, stärkere Reaktionen waren in den Vordergrund getreten. Rückblickend fragte sie sich, ob sie nicht den Verstand verloren hätte, wenn ihr von Anfang an klar gewesen wäre, dass sie erst ganze fünf Jahre später wieder die Freiheit erlangen würde.
Amanda beobachtete sie schweigend.
»Entschuldige«, sagte Lily. »Ich träume vor mich hin.«
»Es gibt ein paar Dinge, über die wir reden müssen, Lil. Zum Beispiel das Testament.«
»Oh.« So weit war Lily seit ihrer Ankunft noch nicht gekommen; zu tief saß der Schock über den Tod ihrer Mutter, als dass sie ihn in allen Konsequenzen hätte realisieren können.
Gary stand auf und stellte seine Tasse ab. »Wisst ihr, ihr beiden braucht Zeit.«
»Du kannst ruhig hierbleiben.«
Er lächelte. Er hatte ein breites, zur Pausbäckigkeit neigendes Gesicht, einen Mund, der sich schnell und gern zu einem Lächeln verzog, eine sommersprossige Stirn unter einem Wust dünner werdender, rotbrauner Haare. Jetzt legte er eine Hand auf Lilys Arm. »Du hast gerade ein paar ziemlich schlimme Neuigkeiten erfahren, meine Liebe. Ich komme schon klar. Ich laufe ein bisschen herum. Ist am besten so.«
Amanda stand ebenfalls auf. »Das ist nett von Ihnen, obwohl ich mir wie eine schreckliche Gastgeberin vorkomme. Wenn Sie einen Spaziergang machen wollen, gehen Sie einfach zur Fulham Road - da entlang.« Sie deutete in Richtung Themse. »Dort kommen Sie zur High Street und dann zum Fluss, in der Nähe der Putney Bridge. Da gibt es Parkanlagen und einen Uferweg.«
»Klingt gut. Ich werde die Enten füttern. Und ich bin … na, sagen wir, in zwei Stunden wieder hier?«
»Du wirst nass werden«, sagte Lily.
»Nicht, wenn die Pubs offen sind. Äh, können Sie mir einen Schirm leihen?«
Amanda brachte ihn zur Tür.
Die beiden Schwestern saßen auf den hohen Küchenhockern, eine Schachtel mit Taschentüchern zwischen sich, und sprachen über ihre Mutter, das Haus, Amandas Kinder und darüber, dass es Amanda nicht möglich gewesen war, ihre Mutter in der Nähe beizusetzen; in London waren sogar die Friedhöfe überfüllt.
»Mum hat uns alles zu gleichen Teilen hinterlassen. Nach ihrem Tod ist die ganze Sache ein Jahr lang ausgesetzt worden
- es gab keine Nachrichten, ob du am Leben oder tot warst. Schließlich haben die Anwälte sich einverstanden erklärt, das Testament zu vollstrecken und Mums Nachlass freizugeben. Wir haben die Schlüssel
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