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Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood

Titel: Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Virtual-Reality-Version eines riesigen Schluchtensystems, vereinfachte rechteckige Blöcke und senkrechte Klippen, in deren rechtwinkligen Tälern das Wasser stand. Die glaslosen Fenster der Gebäude waren dunkel, aber auf dem Wasser herrschte reges Treiben: Motorboote, deren Kielwasserfahnen gegen die fleckigen Wände schwappten, und schwerere, plumpe Flöße. Das Wasser selbst war mit Abfall übersät, mit Plastikfetzen und aufplatzenden Müllbeuteln.
    »Wir fliegen den Broadway rauf«, rief der Pilot. »Ich setze
Sie am Union Square ab, oder über ihm. Broadway, Ecke Vierzehnte Straße. Kennen Sie ihn?«
    »Ich glaube schon.« Lily dachte daran zurück, wie sie den Union Square zusammen mit Piers, Thandie und Gary auf dem Weg zum Freedom Tower überquert hatte, und kramte Erinnerungen an frühere Besichtigungstouren hervor. »Gab’s da nicht einen Bauernmarkt?«
    »Ja. Netter Laden, wenn auch ein bisschen runtergekommen. Damals jedenfalls.«
    In ihrem Headset klang seine Stimme energisch. Er hatte einen New Yorker Akzent, aber von der kultivierten Sorte; offenbar war er von hier. Lily hätte gern gewusst, womit er sich vor der Flut seinen Lebensunterhalt verdient hatte, bevor er mit dem angefangen hatte, was heutzutage offenbar jedermann tat: für Nathan Lammockson arbeiten. »Sind Sie New Yorker?«
    »Jawoll, Ma’am. Bin in Gramercy aufgewachsen. Hübsche Wohngegend. Meine Mutter - sie lebt noch - ist in die Catskills umgesiedelt worden. Sie redet davon, zu ihrem Bruder in dessen Jagdhütte in West Virginia zu ziehen, in den Appalachen. Ziemlich hoch da, wissen Sie.«
    »Klingt nach einem guten Plan.«
    »Ja, aber AxysCorp sagt, die Berge seien voller Waldbewohner und Survivalisten. Sie wissen schon, die Sorte von Leuten, die gleich bei den ersten Regentropfen ihre Pick-ups vollgeladen haben und losgefahren sind. Mr. Lammockson sagt, in den Staaten habe es mehr Todesopfer durch Schussverletzungen an illegalen Straßensperren gegeben als durch die Wetterereignisse selbst.«
    »Würde mich nicht überraschen.«

    Und es überraschte sie auch nicht, ihn Lammockson zitieren zu hören. Als die globale Krise sich verschärft hatte, war Nathan Lammockson dazu übergegangen, regelmäßige Ansprachen an sein weltweites Netz von Mitarbeitern und Geschäftspartnern auszustrahlen, eine Mixtur aus Anfeuerungsreden, nüchternen Nachrichten und seiner eigentümlich britischen, kapitalistischen Hausmacher-Philosophie. In einer zunehmend zerfallenden Welt schien er ebenso stehen geblieben zu sein wie die Freiheitsstatue - allein, aber immer noch mit der Fackel der Hoffnung in der Hand.
    »Und«, sagte sie, »werden Sie zu Ihrer Mutter in die Berge ziehen?«
    Der Pilot schnaubte. Die Frage schien ihn zu überraschen. »Nein, Ma’am. Ich bleibe so nah bei Mr. Lammockson, wie es nur geht. Tun Sie das nicht auch?«

46
    Im diffusen Schatten des Uhrturms am Con-Ed-Gebäude trieb ein riesiges Floß über dem Union Square. Es musste hundert Meter lang sein. Im Zentrum befand sich eine Platte, schwarz wie Asphalt und von Stacheldraht gesäumt, an deren Ecken riesige, schlaffe und nasse Sternenbanner baumelten. Auf ihr standen Hütten aus Sperrholz, Plastik oder Wellblech, die mit Tauen und Seilen festgebunden waren. Eine der Hütten war ein wenig vornehmer als die anderen; sie erstreckte sich über zwei Stockwerke und war rundum verglast wie ein Beobachtungsturm. Überall auf dem Floß schienen Leute zu arbeiten. Sie schleppten irgendwelche Gegenstände zwischen Haufen mit Planen geschützten Materials hin und her. Allerlei Boote waren an dem Floß angedockt, von Kanus und Ruderbooten bis hin zu elegant aussehenden Schlauchbooten im AxysCorp-Gewand. Es gab sogar einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Floß, gekennzeichnet mit einem großen, primitiv hingeklatschten H in weißer Farbe.
    Der Chopper sank und setzte zu einer mühelosen Landung auf dem H an. Lily sah, dass sie während des ganzen Landevorgangs von einer Art Sandsackbunker auf dem Floß aus beobachtet wurden, in dessen Sichtschlitz Glaslinsen aufblitzten.

    Sie stieg aus und trat in strömenden Regen hinaus. Er spritzte von der Oberfläche des Floßes weg, einem Flickenteppich aus Sperrholz und Plastikplanen, die aufgeraut waren, damit man nicht ausrutschte. Das Floß tanzte heftig auf und ab, und die vertikalen Linien der Gebäude um Lily herum neigten sich und schwankten. Sie wickelte ihren Poncho eng um den Körper und zog die Kapuze weit nach vorn, um den Regen nicht ins

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