Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Gold überquollen, und stiegen steile Straßen hinauf, in denen es von Leuten in AxysCorp-Arbeitsanzügen, aber auch von Einheimischen wimmelte, darunter nicht wenige Indios mit ihren schwarzen Filzhüten und bunten Ponchos. Eine Frau schob eine große Wagenladung Yamswurzeln vor sich her. Als Lily damals hergekommen war, um für Lammockson zu arbeiten, hatte sie bald erkannt, dass es ihm mit seiner Vision oder seinem Wahnsinn niemals gelingen würde, den ursprünglichen Charakter dieses Ortes zu zerstören. Und trotz all seiner umfangreichen Maßnahmen zur Umgestaltung der Stadt und ihrer Umgebung - so hatte er beispielsweise die Transanden-Wasser-Pipeline umgeleitet, die einst Lima versorgt hatte - hatte er dies ebenso wenig geschafft wie die spanischen Eroberer mit ihrem ideologischen Eifer, die, außerstande, die Inka-Stadt zu vernichten, ihre eigene
Stadt auf deren monumentalen Fundamenten errichtet hatten.
Lily blickte hinauf in einen Himmel, der so prächtig und blau war wie Porzellan, und sog eine Luft ein, die wie Wein schmeckte. Sie befand sich drei Kilometer über dem alten Meeresspiegel, drei Kilometer hoch im Himmel, so weit oben, dass nicht einmal die Flut, die sich offenbar einem Pegel von zweihundert Metern über dem alten Normalnull näherte, etwas am Charakter und an der Beschaffenheit dieses Ortes änderte.
Als sie Villegas’ Haus erreichten, öffnete Amanda den beiden die Tür. »Lil, schön, dich zu sehen - und Piers, mit dir hatte ich nicht gerechnet.« Sie hauchte ihnen Küsse auf beide Wangen.
»Ich störe hoffentlich nicht«, sagte Piers höflich.
»Ganz und gar nicht, du bist immer willkommen, das weißt du doch. Kommt nur rein - das wird ja eine richtige Party.« Sie folgten ihr ins Haus. Amanda sah gut aus, das musste Lily zugeben; sie hatte ihr volles schwarzes Haar zurückgebunden - im Eva-Peron-Stil, dachte Lily - und trug ein schwarzes Kleid, das für die Mittagszeit eine Spur zu tief ausgeschnitten war. Ihr Gesicht war immer noch schön, aber auf eine melancholische, vergängliche Weise, denn man sah ihr das Alter an; sie war jetzt Mitte vierzig.
Sie führte die beiden in den Wohnraum. Er war riesig, die ehemalige Lobby eines Hotels. Juan Villegas begrüßte seine Gäste und hob das Glas. »Trinkt einen mit mir.«
Zu ihrer Überraschung sah Lily Nathan Lammockson persönlich dort sitzen, ein Glas Wein in der rechten Hand. Er
blickte flüchtig zu Lily und Piers auf und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf den Flachbildfernseher. Dort lief gerade eine Sendung mit Nachrichten über diverse Orte in ganz Peru, die von einer Abteilung seines Konzerns produziert wurde.
Ein Butler kam stumm auf Lily und Piers zu. Er hielt ein Tablett mit Gläsern und einer Weinflasche in der Hand. Lily nahm ein Glas, aber Piers winkte ab. »Ist ein bisschen zu früh für mich.«
»Oh, ich bestehe darauf«, sagte Villegas. »Das ist ein sehr guter Jahrgang.« In seinem adretten Anzug mit der perfekt geknoteten Krawatte stand er so selbstsicher, als posierte er für ein Klatschspaltenfoto, neben dem bestechendsten Element des Raumes, einem zwei Meter hohen Stück einer originalen Inka-Mauer, deren Steinblöcke mit laserartiger Präzision behauen waren. Dieses kleine ehemalige Hotel war Villegas’ Belohnung für die Mitwirkung bei den komplexen und zwielichtigen Geschäften, durch die es Lammockson gelungen war, praktisch eine ganze peruanische Stadt aufzukaufen.
»Juan hat recht mit dem Wein.« Lammockson kippte selbst einen Schluck hinunter. »Chilenisch. Nicht die übliche peruanische Plörre. Und aus der Zeit vor der Flut. Wir schicken U-Boote runter, um ihn raufzuholen. Wenn wir uns schon solche Mühe machen, könnten Sie das verdammte Gesöff wenigstens trinken.«
»Na los«, sagte Villegas mit breitem Lächeln und perfekten Zähnen. »Wenn dein Boss sagt, dass es okay ist, wie kannst du dann ablehnen?«
Piers nahm das Glas widerstrebend entgegen. Er und Lily setzten sich auf ein kleines Ledersofa.
Amanda huschte eifrig zwischen ihren Gästen hin und her und brachte Tabletts mit Häppchen - Cracker mit einer Paste aus gewürztem Fleisch. »Natürlich sollten wir den Fernseher abstellen. Verzeihen Sie, Nathan.« Sie schnippte mit den Fingern in Richtung des Geräts, und es schaltete sich aus.
»Gott sei Dank«, sagte Lammockson.
Piers trank einen kleinen Schluck von seinem Wein; der Flüssigkeitsspiegel im Glas sank nicht einmal um einen Millimeter. »Ich dachte, Sie würden
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