Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Kenntnis gesetzt hatte. Er hatte sogar erwartet, sie in Lincoln zu treffen, falls die mobile Stadt so weit käme. Und nun war sie hier, um ihn zu suchen.
Der Wagen hielt neben Garys kleinem Lagerplatz. Er konnte ihn riechen , das Gummi der Reifen, das Öl, den widerlich rußenden Auspuff - den Geruch einer amerikanischen Kindheit.
Thandie schwang die Beine aus dem Jeep und lief mit
großen Schritten zu ihm herüber. Sie musste jetzt fünfundvierzig oder älter sein. Doch obwohl ihr kurz geschnittenes Haar nun grau meliert war und ihr Gesicht voller Furchen und hart, ja fast schon männlich aussah, bewegte sie sich kraftvoll und anmutig. Und als sie ihn umarmte, wobei sie die Arme fest um seine Brust schlang, merkte er, wie seine Rippen knackten.
»Mein lieber Mann, Thandie, du hältst dich fit.«
Sie trat zurück, ohne ihn loszulassen. »Na, du aber auch. Das Leben, das wir heutzutage führen, hm? Die Couchpotato ist dem globalen Artensterben zum Opfer gefallen.«
Ihre Begleiter folgten ihr. Die schlanke, aschblonde Frau, die neben Thandie stehen blieb - um die vierzig, ernste Miene -, war Elena Artemowa. Die russische Ökologin sah noch genauso aus wie vor all den Jahren, als Gary sie auf dem Weg zum Kaspischen Meer kennengelernt hatte; wenn überhaupt, war sie durch die feinen Linien um ihren Mund und die Andeutung von Silber in ihrem Haar noch schöner geworden. Als sie neben Thandie stand, streiften sich ihre Arme, doch Thandie rückte nicht beiseite; sie schienen sich der Berührung beide nicht bewusst zu sein.
»Wisst ihr«, sagte Gary, »ich erinnere mich noch, wie ihr beide die ganze Zeit gestritten habt. Als wir in dieser Datscha am Schwarzen Meer waren …«
»So sind Lesben nun mal. Frauen ohne Männer, hm, Kumpel?« Das war der Soldat, der sie gefahren hatte, ein kräftig wirkender, stämmiger Mann. Er trug die Streifen eines Sergeants, und sein Gesicht war unter einem Helm und hinter einer großen, staubigen Sonnenbrille verborgen. »Gary Boyle, stimmt’s? Du erinnerst dich nicht mehr an mich.«
Er nahm den Helm ab, fuhr sich über das graue Stoppelhaar und pflückte die Brille vom Nasenrücken. Er war älter als die beiden Frauen - vielleicht sechzig, dachte Gary. Er hatte verblüffende, strahlend blaue Augen in einem sonnengebräunten Gesicht, aber die Augen waren blutunterlaufen, und seine fleischige Nase war von karmesinroten Äderchen gezeichnet. »Die Trieste , weißt du noch?«
»Gordo«, rief Gary, der sich erinnerte. »Gordon James Alonzo.«
»Genau.« Der Mann tippte auf die Streifen an seinem Arm. »Jetzt Sergeant Alonzo. Ich bin wieder zur Army gegangen, als die Mormonen angefangen haben, Ärger zu machen. Ich bin zu alt, aber zum Teufel, einen Astronauten lehnen die nicht ab.« Er ließ den Blick über das langgestreckte Lager schweifen, über die Leute, die im Dreck scharrten. »Ich schätze, hier gibt’s keine Raumschiffe, die man fliegen könnte, was?«
»Nein«, sagte Thandie. »Aber in Lincoln gibt’s bald einen Hafen für Hochseeschiffe. Ein Hafen in Nebraska! Bei dem Gedanken wird mir schwindlig. Wir haben’s Gordo zu verdanken, dass wir hier rausfahren konnten, um dich zu suchen, Gary. Ich bin mir nicht sicher, dass ihr Lincoln in absehbarer Zeit erreichen werdet.«
»Warum nicht?«
»Weil sich ein Krieg zusammenbraut«, sagte Gordo. »Also, lädst du uns nun ein? Tolle Gastfreundschaft, die du hier an den Tag legst, Kumpel. Habt ihr was zu trinken?«
Gordo betrat Garys kleines Lager. Er warf einen Blick auf Thurley und Grace und ihre Ausrüstungsgegenstände. Grace saß unsicher neben Thurley; sie war Fremden gegenüber
stets misstrauisch, und wie Gary bemerkte, hatte sie dafür gesorgt, dass man den Griff des Messers an ihrem Gürtel sah. Zu seiner Erleichterung zeigte Gordo nicht viel Interesse an Grace; vielleicht waren ältere Frauen wie Elena eher nach seinem Geschmack.
Gary breitete umständlich weitere Decken auf dem staubigen Boden aus und legte den Gästen zusammengerollte Isomatten als Sitzunterlage zurecht. Er zeigte ihnen seinen Solarkocher. »Heiße Getränke kriegen wir hin. Tee, wenn’s euch nicht stört, dass er länger zieht. Sonst Wasser. Mit dem Filtern klappt’s recht gut.« Er sah Gordo an. »Alkohol gibt’s keinen.«
Gordo grunzte. Er holte einen Flachmann hervor, schraubte den Deckel ab, trank einen Schluck. Dann hielt er ihn Gary hin. »Willst du?«
Gary sah die Flasche sehnsüchtig an; er konnte den Whiskey riechen. Aber er
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