Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
zerstörten Häusern stammten, und dann mit Plastikplanen und imprägniertem Wellblech
abgedeckt, lauter nicht abbaubaren Materialien. Mit Zeltschnüren befestigte Baracken und Hütten aus Abfallteilen drängten sich auf dem breiten Rücken des Floßes wie Frösche, die sich an einen Baumstamm klammerten. Eine Rotkreuz-Fahne flatterte über einem größeren Gebäude, der Krankenstation, und es gab auch einige hoch aufragende, technisch anspruchsvollere Konstruktionen, wie einen Sendemast, Antennen und eine Windturbine.
Als sie das Projekt vor zwei Jahren in Angriff genommen hatten, war das Meer noch weit entfernt gewesen; seine Wellen hatten sich tief unterhalb von Nazca gebrochen. Es schien absurd, ein Floß so hoch über dem Wasser zu bauen. Doch nach zwanzig Flutjahren näherte sich der Meeresspiegel einem Pegel von rund achthundert Metern über dem alten Normalnull, ja er stieg derzeit mit verblüffenden hundert Metern pro Jahr . Und plötzlich war das Wasser da, schlängelte sich selbst in diese Gebirgsregion hinein und fing mit seiner gewaltigen, unerbittlichen Kraft an, das Floß aus der Stadt emporzuheben, in der es das Licht der Welt erblickt hatte. In dem übervölkerten Ort brach Hektik aus, als die letzte Evakuierung nahte. Menschen eilten überallhin, beladen mit Matratzen, Laken und Decken, Kleiderbündeln, Körben voller Nahrung, Töpfen und Pfannen, Möbelstücken, Seilballen, Drahtrollen, Spaten und Hacken, mit allem, was in den langen kommenden Jahren, in denen das Floß auf der Meeresoberfläche treiben würde, nützlich sein konnte …
Sie fanden Maria Ramos’ Unterkunft und setzten die Kiste ab. Lily trat an die primitive Tür. »Maria? Hier ist Lily. Wir haben die AxysCorp-Ausrüstung für Sie.«
Während sie warteten, musterte Villegas neugierig die vom Floß getragene Behausung. Die Residenz der Bürgermeisterin war eine von vielen Wellblechhütten mit Türen, die aus irgendeinem verlassenen Gebäude stammten. Die Hühner und Schweine in ihren Kunststoffgitterkäfigen waren unruhig. Auf dem Dach hatte man Schüsseln festgebunden, um Regenwasser aufzufangen. Menschen eilten hin und her, Erwachsene und Kinder, die hier wie überall anders auch Sachen abluden. Undeutlich erkannte Lily Marias erwachsene Kinder und Enkelkinder. Sie arbeitete seit Jahren mit dieser Frau zusammen.
Ein Kind lief ihnen über den Weg, und Villegas schreckte zusammen. Es war ein Mädchen, nicht älter als fünf Jahre, aber es trug einen Weidenkorb voller Kleider auf dem Kopf. Es gab viele, viele Kinder hier, Kleinkinder, Säuglinge in Tragegestellen auf dem Rücken ihrer Eltern.
»Nathan wird enttäuscht sein, dass seine Geburtenkontrollprogramme und Predigten zur freiwilligen Beschränkung keine Wirkung zeigen«, sagte Villegas.
Lily brummte. »Wenn der Mensch in Gefahr ist, übernehmen offenbar tiefer sitzende Triebe das Kommando.«
»Ja, vermutlich. Wie es heißt, kommt es nach jedem Krieg zu einem starken Bevölkerungswachstum. Und was ist dies anderes als eine Welt im Krieg? Nathan sollte mehr Angehörige seines inneren Zirkels auffordern, ihre Hightech-Festung zu verlassen und sich mal genauer anzusehen, was hier draußen wirklich geschieht.«
Was Juan tat - das musste sie ihm lassen. Im Lauf der Jahre hatte Lily Stärken in ihm entdeckt, die sie in dem dandyhaften Salonlöwen, dem sie anfangs begegnet war, nicht
vermutet hatte. Juan hatte sich immer für eine gewichtige Figur in seiner Gemeinschaft gehalten, ungeachtet Lammocksons Schirmherrschaft, und so benahm er sich auch. Und nachdem sein christlicher Glaube die harsche Neue-Bund-Phase überwunden hatte, zeigte er sich nun großzügiger. Juan war für Lily ein nützlicher Verbündeter an Lammocksons Hof geworden, und trotz ihrer gelegentlichen Anwandlungen von Eifersucht war sie froh, dass er während der letzten paar Jahre eine Art Stabilität in das ewig problembeladene Leben ihrer Schwester gebracht hatte.
Maria trat aus ihrer Behausung. Sie trug ein verblichenes Wollkleid, ihr Gesicht war schmutzig, und sie sah müde und angespannt aus. »Ihr seid also gekommen«, sagte sie zu Lily.
»Wie versprochen. Das ist Juan Villegas. Juan, Maria ist …«
»Ich kenne Sie«, sagte Maria, die ihn prüfend anschaute. »Sie waren doch damals immer in den Klatschspalten. Ein Playboy, stimmt’s? Sie haben sich mit Popstars und Tennisspielerinnen herumgetrieben.« Ihr Englisch war gut, mit einem leichten Akzent, in dem Spanisch und Quechua anklangen.
Juan
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