Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Texten verstanden,
die sie nachplapperten, von den Formulierungen, die sich auf eine verschwundene Welt bezogen. Aber er beneidete sie darum, dass sie Sachen entdecken konnten, die zumindest ihnen neu waren.
Die Mädchen fingen an, Tanzfiguren zu improvisieren, und die Erwachsenen klatschten mit. Gordo zauberte noch mehr Alkohol hervor, diesmal Wein, und Thandie und Elena tranken etwas davon. Selbst Gary ließ sich erweichen. Grace nahm einen Schluck, ihren ersten Alkohol bisher, soweit Gary wusste, fand ihn jedoch bitter.
Sie unterhielten sich weiter und tranken in aller Ruhe, während über der Ebene die Sterne herauskamen. Gegen Mitternacht gab es einen kleinen Gefühlsausbruch, als Elena abrupt aufstand und Gordo lauthals beschuldigte, die Hand auf ihren Schenkel gelegt zu haben. Wie sich herausstellte, hatte Thandie ihr einen boshaften Streich gespielt.
Dann zogen sie sich in ihre Zelte zurück. Michael, Grace und Gary zwängten sich in die kleine orangefarbene Kuppel, die sie, in Einzelteile zerlegt, schon seit Jahren auf dem Rücken mit sich herumtrugen, Gordo und die Frauen in das große, stabile, flaschengrüne Militärzelt, das er sich für die Nacht ausgeborgt hatte.
Gegen drei Uhr morgens wurde Gary vom ohrenbetäubenden Lärm von Tieffliegern geweckt.
Er stolperte aus dem Zelt. Gordo und Thandie waren bereits draußen; der Astronaut zog sich noch die Hose hoch und legte den Kopf in den Nacken. Die Flugzeuge schossen brüllend über sie hinweg. Ihre Lichter sahen aus wie fliegende Sternbilder. Ihr Triebwerksgeräusch war mehr als laut; es war lähmend, vernichtend.
»Unsere?«, rief Gary Gordo zu. »Nein, verdammt. Das sind russische Maschinen, MiGs. Die beschissenen Mormonen.« Gordo schnappte sich seine Jacke und fing an, das Zelt abzubauen.
Gary wandte sich Thandie zu. »Also Denver«, sagte er.
»Project City«, gab sie zurück. »Ich werd’s mir merken.«
»Viel Glück …«
Er hörte ein Krachen, wie einen Donnerschlag, und sah nach Südosten, in Richtung Lincoln. Feuerbälle erblühten in der Nacht.
»Scheiße!« Gordo warf seine Sachen hinten in den Jeep und sprang hinters Lenkrad. »Jetzt ist es also so weit«, sagte er, während er den Motor anließ. »Ein Bürgerkrieg um eine unter Wasser stehende Interstate. Wisst ihr, wir hätten zum Mars fliegen sollen, genau jetzt, heute Nacht. Gab so einen Plan bei der NASA. Ich hätte dabei sein können, bin ja noch nicht zu alt …« Er blickte zu den Sternen hinauf und ließ den Motor aufheulen. »Steigt ihr beiden Lesben nun ein, oder was?«
60
MAI 2034
Aus Kristie Caistors Sammelalbum:
Das Video auf der Toodlepip.com-Website war verschwommen. In dem trüben Panorama aus rissigem, matschigem Polareis unter einem bleigrauen Himmel war es schwer, die Details oder die exakte Abfolge der Ereignisse genau zu erkennen, die unscharfen Gestalten der Menschen, den kleinen, umherkriechenden Bären.
Die Flut verursachte ein jähes, massenhaftes Artensterben, das rasch an Geschwindigkeit zunahm. Überall auf der Welt wurden Tiere aus den schrumpfenden Lebensräumen vertrieben oder abgeschlachtet, wenn sie mit Menschen in Konkurrenz um die verbliebenen hoch gelegenen Gebiete traten. Vögel waren freier, aber in ihren Nist- und Ernährungsgewohnheiten generell wenig anpassungsfähig; sie hatten schon zu Beginn der Überschwemmungen gelitten, damals, als die junge Kristie festgestellt hatte, dass die Populationen von Blaumeisen und anderen Gartenvögeln massiv zurückgingen. Da sich Klimazonen verschoben oder im Wasser versanken, musste die Vegetation neue Siedlungsräume erschließen oder absterben; die Veränderungen gingen so schnell vonstatten, dass der Lebenszyklus der meisten Bäume nicht Schritt halten konnte, die verbrennenden oder im Wasser versinkenden Wälder wurden nicht ersetzt oder
aufgeforstet. Selbst die Welt der Mikroben war in Aufruhr - eine Ursache der neuen Seuchen, von denen die Menschheit heimgesucht wurde.
Das Sterben fand jedoch großenteils im Verborgenen statt; das Leben an der Küste und im flachen Wasser wurde beispielsweise nahezu unsichtbar ausgelöscht. Toodlepip.com sammelte Bilder vom Schlusspunkt dieses Artensterbens: Bilder der Letzten einer Art, die ins Dunkel ging, übertragen an die verbliebenen Abonnenten der Website in Grüne-Zone-Enklaven in aller Welt. Manche dieser Bilder waren unspektakulär, den meisten Menschen, die keine echten Ökologen oder Ozeanografen waren, fiel es schwer, über die Zerstörung
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