Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
zuckte mit den Achseln. Er wirkte verlegen. »Das war vor langer Zeit. In einer anderen Welt.«
»Ja, das stimmt. Aber Sie haben sie offenbar überlebt, nicht wahr?«
»So wie Sie«, sagte er sanft.
Eine Brise pfiff zwischen den Zeltschnüren hindurch, und erste Regentropfen klatschten auf die Plastikplane unter ihren Füßen. Sie blickten nach Westen, wo es für einen kurzen Moment heller wurde; die Sonne versuchte, durch die
Sturmwolken zu brechen. Maria strich sich eine einzelne Locke grauschwarzer Haare aus der Stirn, und als sich das Licht auf ihrem Gesicht fing, war diese fünfzigjährige Frau schön, fand Lily; trotz ihres christlichen Namens hatte sie etwas von einer mestiza . Doch ihre Augen waren schwarz vor Anspannung, die vollen Lippen geschürzt.
Lily hatte das überall in den Anden gesehen. Maria gehörte zu einer Generation, die bereits eine große Verwerfung erlebt hatte. Als junge Frau aus Lima vertrieben, war sie hierhergekommen, um sich ein neues Zuhause aufzubauen, und hatte ein halbes Leben voller Schinderei bei der Urbarmachung neuen Landes ertragen. Nun rollte das Meer über Farmen hinweg, die erst wenige Jahre zuvor eingerichtet worden waren, und Maria musste erneut alles aufgeben. Das war für die Menschen nur schwer zu ertragen. Ältere Leute waren erschöpft und fühlten sich außerstande, eine weitere Entwurzelung durchzustehen. Den Jungen wiederum gefiel es nicht, dass sie aus dem einzigen Zuhause vertrieben wurden, das sie kannten, und sie warfen den Alten die Verschwendungssucht vor, die diese globale Erschütterung ausgelöst haben mochte. Während das gewaltige Werk der Evakuierung seinen Fortgang nahm, gab es Familienstreitigkeiten, Scheidungen, Morde und Selbstmorde.
»Der Sturm kommt«, sagte Maria. »Ihr solltet lieber abfliegen, bevor er zuschlägt.«
Lily fühlte sich durch diese kurze, schroffe Verabschiedung verletzt. »Wir haben euch das übliche AxysCorp-Paket gebracht. Solarbetriebene Funkausrüstung mit Ersatzgeräten. Ein Programmpaket für die GPS-Navigation. Fünfzig Handys …« Alles Produkte der Hightech-Fabriken von Project
City, Geräte, bei deren Konstruktion man besonderen Wert auf Robustheit und Langlebigkeit gelegt hatte, obwohl viele davon aus den Komponenten geborgener älterer Geräte bestanden. Dies war Nathan Lammocksons Standardgeschenk an alle neuen Floßgemeinschaften, eine Methode, mit ihnen in Kontakt zu bleiben und vielleicht ein gewisses Maß an Kontrolle zu bewahren.
Maria warf einen Blick auf die Kiste. »Danke«, sagte sie ausdruckslos.
»Ich hoffe, wir bleiben in Verbindung, Maria. Es gibt einen Hubschrauberdienst. Für Notfälle, oder wenn Project City euch mit medizinischem Bedarf helfen kann …«
»Dieses Floß hätte ohne den Rat eurer Techniker nicht gebaut werden können, Lily«, gab Maria zu. »Aber wir sollten einander nicht anlügen. AxysCorp ermutigt von der Flut bedrohte Gemeinschaften, Flöße zu bauen, weil wir sonst alle Flüchtlinge werden und wie eine menschliche Flut aus den Tälern aufsteigen würden. Und was geschähe dann?«
»Aber Maria, ihr wisst doch, wie die Dinge stehen. Die theoretische ökologische Tragfähigkeit der Hochlagen ist bereits überschritten. Wir müssen andere Lösungen finden.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber ist dort wirklich kein Platz für eine einzige weitere Stadt, eine einzige weitere Familie - ein einziges weiteres Kind?«
»Wir müssen alle unsere Entscheidungen treffen«, sagte Villegas.
Maria zuckte mit den Achseln. »In der Tat, das müssen wir.« Eine weitere Windbö, weitere Regentropfen. Das goldene Licht verblasste, Wolken rasten über sie hinweg, und erneut schwankte das Floß unruhig unter ihren Füßen.
Villegas warf Lily einen Blick zu. »Vielleicht täten wir gut daran, uns auf den Rückweg zu machen, bevor der Pilot die Nerven verliert und ohne uns abfliegt.«
»Geht, geht«, sagte Maria und kehrte ihnen den Rücken zu.
Das Floß wogte jetzt unablässig; Villegas stolperte über ein Plastikseil und fiel hin. Die Nazcaner rannten herum, holten Kinder ins Haus und banden die letzten losen Ausrüstungsteile fest. Als sie den Hubschrauber erreichten, wehte ein stürmischer Wind, und es regnete heftig. Die Rotorblätter drehten sich bereits, und der Pilot in seinem regengestreiften Cockpit gab ihnen ein Zeichen, sich zu beeilen.
Sobald Villegas die Tür geschlossen hatte, brachte der Pilot seinen Motor auf Touren, und der Chopper hob ab. Nach dem kraftvollen Wogen des
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