Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
hörte das Rasseln von Ketten, als die Treibanker fielen, und spürte das leise Ziehen des Bremsvorgangs, sobald das Schiff langsamer wurde.
Als die Arche still lag, hörte Lily eine Art Megafon, eine verstärkte Stimme, die brüllte: »… ordnungsgemäßes Verfahren. Ich wiederhole, ihr, die Neuankömmlinge, das große, schicke Kreuzfahrtschiff und die Flöße, ich bitte um eure Aufmerksamkeit. Versucht nicht, den Kunststoff mit dem Netz abzufischen, ihn aufzuschöpfen oder einzuladen oder ihn auf irgendeine Weise aus dem Wasser zu holen. Der Kunststoff ist Volkseigentum. Ihr könnt mit den Trawler-Konsortien verhandeln, um verarbeitetes Material von ihnen zu erwerben. Jeder Versuch, ohne Genehmigung eigenhändig Kunststoff aus dem Wasser zu holen, wird mit dem Einsatz tödlicher Gewalt geahndet. Bitte respektiert unsere
Gesetze und Bräuche und haltet euch an unser ordnungsgemäßes Verfahren. Ich wiederhole …«
Eine gewaltige Rückkopplung kündigte die Antwort der Arche an. »Hier spricht Nathan Lammockson von AxysCorp an Bord der Arche Drei. Darf ich höflich fragen, wer, zum Teufel, Sie sind, wer Sie ernannt hat und für wen Sie sprechen?«
Die Megafonstimme klang nicht im Mindesten eingeschüchtert. »Sie können mich ›Boss‹ nennen, Mr. Lammockson. Mein Name spielt keine Rolle. Ich arbeite für die lizenzierten Trawler in diesem Wirbel. Sie haben mich ernannt, damit ich und meine Polizeitruppe im Interesse des Gemeinwohls die Ordnung bewahren.«
»›Die Ordnung bewahren‹. Wir sind hier auf einer Müllhalde, und Sie sind der Boss der Ratten, wie? Hören Sie, mein Lieber, da draußen schwimmen eine Million Tonnen Kunststoff rum. Warum, zum Teufel, sollte ich Sie bezahlen?«
»Sie bezahlen für den Service, Mr. Lammockson. Für das Herausholen, Sortieren, Verpacken und Beladen. Wenn Ihnen unser Service nicht gefällt, können Sie gern woanders hinfahren.«
Lammockson verstummte. In der Stille konnte Lily seinen Zorn beinahe hören. Der »Boss« nahm seinen Sermon über das ordnungsgemäße Verfahren wieder auf. Nach einer Weile gesellten sich entsprechende Aufrufe in anderen Sprachen - Spanisch, Chinesisch, Russisch, Malaiisch, Japanisch - zu seiner Stimme hinzu.
Die Maschinen der Arche sprangen nicht wieder an. Trotz seines Gepolters würde Lammockson nirgendwohin fahren.
Die einzige effektive, legitime Macht, die es auf dem Weltmeer noch gab, war die US Navy, die schon immer weitaus
stärker gewesen war als die übrigen Streitkräfte der Welt. Aber ihre noch einsatzfähigen Schiffe hielten sich in der Nähe der Küstenlinie der Vereinigten Staaten auf, wo sie als Offshore-Basen fungierten, bei Evakuierungen halfen und die Küste vor unerwünschten Einwanderern bewachten. Nur die Atom-U-Boote streiften noch im Weltmeer umher, und auch sie mischten sich nur selten in Streitigkeiten ein, bei denen es nicht unmittelbar um die Interessen der Vereinigten Staaten ging. In dem so entstandenen Vakuum gab es nur mehr lokale Autoritäten, »Bosse« wie die selbsternannten Kontrolleure dieses Plastikmüll-Sargassomeeres. Lammockson war nicht in der Lage, sich mit ihnen anzulegen.
Und wie jeder Herumtreiber brauchte er den Müll. Aus der tieferen Masse des verkrusteten Meeres schoben sich bereits kleine Wasserfahrzeuge, Flöße, Trawler und Fabrikschiffe, und hielten auf die Arche zu, um ihre Waren anzupreisen. Manche dieser Flöße waren ziemlich groß, sah Lily, von Vögeln umschwärmte, schwimmende Farmen mit leuchtend grünen Flächen auf dem Rücken. Die Archen-Besatzung ließ Strickleitern hinunter, und Schlauchboote wurden von den Rettungsboot-Davits in das mit Abfall übersäte Meer hinabgelassen. Bald würde das Handeln beginnen.
Eine kleine Hand zupfte an Lilys Bein. »Tante Lily! Mum sagt, ich darf im Meer schwimmen gehen.«
Lily sah nach unten. Es war Manco, jetzt sieben Jahre alt und ein richtiger kleiner Goldschatz. Erstaunlicherweise war er inzwischen blond, ein weiterer Beweis, dass sein Vater Ollantay doch kein reinrassiger Quechua gewesen war. Aber wie die meisten Kinder, die auf dem Schiff aufwuchsen, war er von der Sonne muskatbraun gebrannt. Barfuß, in zerrissene
Shorts und die uralte Nachbildung eines Fußball-Trikots gekleidet, barst er geradezu vor rastloser Energie.
Jedes Mal, wenn das Schiff Anker warf, durften die Kinder schwimmen gehen, solange das Meer einigermaßen ungefährlich war - nachdem man nun auch noch den letzten Pool an Bord in einen Elektrolyse-Tank ungewandelt
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