Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
»Piers?«
»Lily. Komm zurück.«
Sie hörte ein tiefes Brummen, ein dumpfes Rauschen von aufgewühltem Wasser. Die Wand des Schiffsrumpfs glitt langsam an ihr vorbei, ihr Schlauchboot tanzte auf und ab. Unglaublicherweise drehten sich die Schrauben der Arche, obwohl sie und die Kinder und die Taucher noch im Wasser waren.
»Piers? Was ist los, verdammt noch mal? Ist es der Sturm?«
»Der nicht. Hol Manco und komm zurück an Bord. Sofort . Es gibt Ärger. Ich denke …«
Ein Boot röhrte an Lily vorbei, grau lackiert wie das Meer. Sein Kielwasser warf das Schlauchboot beinahe um. Sie
musste sich an den Seiten festhalten, um nicht über Bord geworfen zu werden, und sie ließ das Telefon fallen. Sie tastete danach in dem Wasser, das sich in der Bilge gesammelt hatte.
Das Motorboot wendete in engem Kreis und bespritzte den Rumpf der Arche mit Gischt. Lily glaubte, Kinder schreien zu hören. Dann sprangen Taucher aus dem Boot ins Wasser, zwei, drei, vier Mann. Sie trugen Waffen, große, bazooka-ähnliche Rohre. Einer von ihnen begann zu feuern, noch bevor er aufs Wasser aufschlug, und Lily hörte Kugeln singen und ins Meer klatschen. Die AxysCorp-Taucher versuchten, sich zu formieren und auf den Angriff zu reagieren. Aber Lily sah, wie Trajektorien von Turbulenzen, ähnlich der Blasenspur winziger Torpedos, durch die Schar der AxysCorp-Taucher fuhren. Die Männer wanden sich und starben, während aus ihren Schusswunden karmesinrotes Blut sickerte. Konventionelle Schüsse knallten - Lammocksons Leute feuerten von den Decks herab, doch das Meer blockierte ihre Kugeln, und wenn sie nicht zufällig einen der Banditen außerhalb des Wassers erwischten, konnten sie ihnen damit kaum etwas anhaben.
Auf ganzer Länge des Rumpfes rasten weitere Banditenboote heran, und weitere Taucher sprangen mit ihren unhandlichen Waffen ins Wasser.
Lily sah einfach nur zu, wie gelähmt von der Plötzlichkeit des Angriffs und der Wirksamkeit der Waffen der Banditen. Sie wusste, dass Lammocksons Techniker sich mit den Problemen des Unterwasserkampfes befasst hatten. Wenn man beispielsweise einen Hochdruck-Gasimpuls ins Wasser leitete, würde die Kugel die Luft mitziehen und dadurch den
Strömungswiderstand bei ihrer Passage durchs Wasser drastisch reduzieren. Oder man benutzte das Wasser selbst, indem man Hochdruckimpulse abfeuerte, die sich so schnell bewegten, dass dabei Hohlräume entstanden, mit Dampf gefüllte Unterdruck-Blasen, die durch den Ozean schossen, die tödlichste Wasserpistole der Welt …
Auf der Arche befand sich das alles jedoch noch im Versuchsstadium. Die AxysCorp-Taucher wussten keine Antwort auf diesen Angriff, hatten keine einsatzfähigen Waffen außer Harpunen. Es war, als wollte man mit Pfeil und Bogen gegen Steinschlossgewehre kämpfen, wie die Inkas gegen die Spanier.
Wir waren so selbstzufrieden, dachte Lily. Wir sind nicht hart genug, um hier draußen unter den Aasgeiern der Meere zu bestehen, und jetzt müssen wir den Preis dafür zahlen.
Und dann hörte sie einen Schrei, die Stimme eines Jungen. Im Nu erwachte sie aus ihrer Schockstarre. Das war Manco gewesen.
Im Innern des schwimmenden Seilkordons, an dessen Rand die Taucher kämpften, kletterten die Kinder hastig aus dem Wasser und zogen sich an einer Strickleiter empor, die ihrerseits ins Schiff eingeholt wurde. Aber ein Junge planschte noch hektisch im Wasser umher und streckte sich nach einer Strickleiter, die gerade aus seiner Reichweite verschwand. Es war Manco. Er hatte seinen Schwimmgürtel nicht um. Wahrscheinlich hatte er ihn abgenommen, damit er tauchen konnte.
Lily überlegte nicht lange. »Halt durch, ich komme!« Sie brachte den Motor des Bootes auf Touren und schoss übers Meer, wobei sie Stücke bunt gefärbten Mülls auseinandertrieb.
Wenn sie bis zu dem Seilkordon kam, würde es ihr vielleicht gelingen, Manco zu erreichen und ins Boot zu ziehen. Dann konnte sie fliehen, zur anderen Seite der Arche …
Der Kugelregen punktierte das Schlauchboot auf ganzer Länge. Ohne nachzudenken, sprang Lily über Bord, durchbrach die dünne Abfallkruste und sank mit einem Kälteschock ins Wasser, während ihr Kopf sich mit den Geräuschen des Meeres füllte.
Und dann wurde sie getroffen. Sie spürte, wie die Kugel über dem Knöchel in ihr Bein eindrang, wie sie durch ihre Haut ging und durch den Neoprenanzug wieder austrat. Sie wusste nicht, ob es die Piraten oder ihre eigenen Leute gewesen waren. Die Wunde tat nicht weh. Sie fühlte sich
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