Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
wie Fenster in eine veränderte Welt waren. Sie merkte, wie rasch sie vorankamen, als sie landeinwärts in Richtung der Pennines fuhren, einer Bergkette, die sich am Rückgrat des versunkenen Landes entlangzog. Sie machten einen Umweg, um über die Kadaver von Leeds, Bradford und Manchester hinwegzugleiten, einst von der Glut der Hochöfen der industriellen Revolution erhellte Städte, die nun im abyssischen Dunkel verloren waren. Und die New Jersey fuhr immer weiter, dem südenglischen Tiefland entgegen.
Über Nottingham zeigte Thandie ihr eine Aufzeichnung von einem Geschöpf, das sie gerade beobachtet hatten, aus der Dunkelheit gerissen von den Lichtern des Bootes. Es ähnelte vielleicht einer Vase oder einem Blumentopf mit stachelbewehrten Nähten. »Schade, dass du das verpasst hast … Das ist ein Tiefseevampir.«
»Ein was?«
»Ein echtes Relikt - wie der Quastenflosser, der fossile Fisch, der, wie sich herausgestellt hat, gar kein Fossil ist. Man findet diese Wesen in zweihundert Millionen Jahre alten
geologischen Ablagerungen. Wir befinden uns in der Nähe einer Sauerstoff-Minimum-Zone, ungefähr fünfhundert Meter tief. Hier kann nicht viel überleben.«
»Außer dem Tiefseevampir.«
»Ja. Eine eigentümliche Nische. Es ist eine Strategie, um Räubern zu entgehen - du versteckst dich einfach dort, wo niemand außer dir atmen kann. Und wenn das Massenaussterben beginnt, können sich deine Nachfahren in all diesen leeren Nischen ausbreiten.« Thandie schüttelte staunend den Kopf. »Wenn man solche Wesen sieht, ist es, als fände man einen lebenden Dinosaurier. Ich wünschte, du hättest es live gesehen. Meinst du, das würde Manco interessieren?«
»Du kannst es ja mal versuchen.«
Aber es interessierte ihn nicht.
Über den Midlands, über Leicester und Northampton, lag das versunkene Land in einer Tiefe von sechshundert bis siebenhundertfünfzig Metern. Thandie geriet in Erregung, als sie diverse exotische Lebensformen erblickte, die sich in dem kalkhaltigen Schlamm wanden, der jetzt die Straßen und Felder Mittelenglands überzog. Eine davon war eine Seespinne mit gelblichen Beinen, die Thandie zufolge eine Spanne von zwanzig Zentimetern hatten. »Antarktische Fauna in Leicestershire! Erstaunlich, dass sie in so wenigen Jahren so weit nach Norden vorgedrungen sind …«
Bemerkenswerterweise, erfuhr Lily, lag das südenglische Tiefland jetzt niedriger als das küstennahe Kontinentalschelf vor der Flut; die Lebensformen, die diese Unterwasserebenen um Großbritannien herum bewohnt hatten, konnten hier nicht überleben. Doch das Schelf um die Antarktis hatte schon immer tiefer gelegen; der ganze Kontinent war durch
das schiere Gewicht der kilometerdicken Eisdecke, die er trug, tief in den Leib der Erde gedrückt worden, und die Lebensformen auf dem Schelf hatten sich an die größere Tiefe angepasst. Jetzt besiedelten diese Polargeschöpfe neue Regionen wie Leicestershire und Northamptonshire.
Das Endziel der Reise war London. Aber mit über tausend Metern lag die Stadt in zu großer Tiefe für die New Jersey , die eine maximale Tauchtiefe von fünfhundertfünfzig Metern hatte. Darum beabsichtigten die Wissenschaftler, ROVs hinunterzuschicken - ferngesteuerte, mit Kameras, Lampen und Sensoren zur Messung von Temperatur, Druck, Salzgehalt und anderen Indikatoren beladene Plattformen mit Eigenantrieb -, während die New Jersey über den Straßen der Stadt hing wie ein Sperrballon in Kriegszeiten.
An dem Tag, als die ROV-Flottille gestartet werden sollte, kündigte der Wachführer das Ereignis über Lautsprecher an. Es gab eine Menge Aufregung unter der Besatzung, die sich für gewöhnlich benahm, als gäbe es die Welt außerhalb der gekrümmten Wände ihres Bootes gar nicht. Doch das Schicksal einer Großstadt wie London regte die Fantasie an. Der Kapitän sorgte dafür, dass die von den ROVs nach oben geschickten Bilder ins ganze Schiff übertragen wurden, auf die Flachbildschirme in der Kombüse und anderswo. Selbst Manco zeigte sich interessiert, obwohl er kaum verstand, was geschah. Er kam mit Lily in den Beobachtungsraum.
Thandie fing Lily ab, bevor sie hineingingen. »Hör mal, Lily. Ich hatte ein bisschen Glück.«
»Womit?«
»Ich habe was über die Arche Eins rausgefunden.«
»Erzähl.«
»Es hat etwas mit Pikes Peak zu tun - mit der dortigen Basis der US Air Force. Und es gibt eine Art Operationszentrum in der Stadt Alma, Colorado, zufällig die am höchsten gelegene Stadt in den
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