Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
kontinentalen Vereinigten Staaten. Ich habe ein paar Hinweise bekommen, weil einige meiner Freunde bei der NOAA daran beteiligt sind. Es ist offensichtlich eine groß angelegte Operation.«
»Und was ist es, ein anderes Schiff, ein U-Boot, eine Zuflucht?«
»Ich weiß es nicht. Niemand redet. Aber es wird undichte Stellen geben, weil sie eine Besatzung rekrutieren. Harte Selektion nach Fähigkeiten. Klingt, als müsste man zwei Doktortitel haben, nur um in die engere Auswahl zu kommen. Und nur Singles, keine Familien, keine Kinder. Aber sie nehmen schwangere Frauen, jedenfalls wenn die Schwangerschaft noch nicht zu weit fortgeschritten ist.«
»Warum?«
»Genetische Diversität, nehme ich an. Eine möglichst große Variationsbreite, in Anbetracht des Umfangs der Crew. Wenn ich schwanger bin, nehme ich die Gene des Vaters mit.«
»Und wie kriege ich Grace in dieses Projekt hinein?«
»Keine Ahnung. Aber ich kann dir sagen, wen ich fragen würde.«
»Wen?«
»Nathan Lammockson. Wenn jemand seine Beziehungen spielen lassen kann, um irgendwas zu schaukeln, dann Nathan, stimmt’s?«
Vielleicht, dachte Lily. Ein Faktor in der Gleichung war jedoch auch Hammond, Nathans Sohn. Würde Lammockson
ihm nicht einen Platz vor Grace in der Schlange für diesen wundersamen Zufluchtsort geben? Sie überlegte rasch, dann sagte sie: »Kannst du mich mit der Arche Drei verbinden? Ich will versuchen, direkt mit Grace zu sprechen. Und ich muss auf das Schiff zurück.«
Thandie schürzte die Lippen. »Das hängt vom Kapitän und den Schiffsbefehlen ab. Könnte noch Monate dauern.«
»Ich weiß. Sobald es eben geht.«
Da tönte Bills Stimme aus dem Beobachtungsraum: »Die Show fängt an, Leute.«
86
Der Beobachtungsraum war überfüllt. Der Kapitän, sein Erster Offizier und andere hochrangige Besatzungsmitglieder waren gekommen, um diesen Roboterausflug live mitzuerleben. Als die Tür geschlossen wurde und das trübe rote Leuchten das einzige Licht war, fühlte sich Lily irgendwie bedrängt von den unsichtbaren Körpern um sie herum. Mancos kleine Hand stahl sich in ihre.
»Oh, Scheiße«, sagte Bill. »Da ist es.« Er sang die Big-Ben-Melodie. »Bim bam bim bam …«
Alle starrten auf die Bildschirme.
Es war, als flöge das ROV stromabwärts am Bett der Themse entlang. Viele der Brücken standen noch, aber das Flussbett selbst war leer, der Fluss verschwunden - oder vielmehr, er schien gestiegen zu sein, um die ganze Welt zu ertränken. Boote lagen überall im Flussbett verstreut, gesunken und verlassen. An den Ufern glaubte Lily Reihen kleiner Hügel zu sehen, bei denen es sich um Autos handeln musste, reglos und von Schlick überzogen. Alles war von einem trüben Schlamm bedeckt, der Farben auslöschte, sämtliche Konturen weichzeichnete und Einzelheiten verbarg.
Zur Linken rissen die starken Lampen des ROV spitz gezackte Ruinen aus dem Dunkeln, einen zersplitterten Turm, der wie ein riesiger Stalagmit aussah - der Palace of Westminster,
jahrhundertelang die Heimstatt des britischen Parlaments. Das ROV schwenkte vom Fluss weg und schweifte übers Nordufer. Es folgte Whitehall - die Regierungsgebäude waren nun verkrustete Sandsteinauswürfe inmitten des allgegenwärtigen Schleims - und kam zu der freien Fläche des Trafalgar Square. Nelson stand immer noch stolz auf seiner mit Schwämmen und Seegras überzogenen Säule. Das ROV sank zum Trottoir des Platzes hinab. Hier war der Schlamm sehr dick, und es herrschte eine verblüffende Dichte an Lebewesen.
»Vergiss nicht, hier unten gibt’s kein pflanzliches Leben, sondern nur Tiere und Kleinstlebewesen.« Thandies Stimme klang begeistert. »Der ›Wald‹, den du siehst, besteht also in Wirklichkeit aus Tieren, aus Seeanemonen, Korallen und Röhrenwürmern. Und die ›Laubfresser‹ sind Seegurken und Seeigel.«
Lily erinnerte sich daran, wie sie kurz nach dem Sturm und der von ihm verursachten Überschwemmung Londons mit Piers und den anderen auf diesem Platz gestanden hatte. Nun zappelten und wanden sich dort ihr völlig fremde Lebewesen im Schleim.
Das ROV stieg wie ein Hubschrauber in die Höhe, kehrte zum Fluss zurück und arbeitete sich langsam flussabwärts voran. Bei der Tower Bridge bat Thandie die Crew, das ROV anzuhalten und die Scheinwerfer zu löschen. Nach ein paar Minuten schälte sich das vertraute Profil der Brücke aus dem Dunkeln, erhellt von biolumineszenten Geschöpfen, die sich an ihr Mauerwerk klammerten oder durch ihre zerbrochenen Fenster
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