Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
zeichnete einige Reaktionen auf: blasierte Selbstzufriedenheit bei Hammond, eine Art resignierter Verwirrung, die Graces blasses, sommersprossiges Gesicht umwölkte - und einen Ausdruck eiskalter Befriedigung in Lilys Augen.
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AUGUST 2041
Die Arche Drei arbeitete sich vorsichtig in die trüben, von Abfällen übersäten Gewässer vor, die den westlichen Küstenstreifen der kontinentalen Vereinigten Staaten bedeckten.
Captain Suarez lenkte das Schiff irgendwo über dem längst untergegangenen San Diego über die versunkene Küstenlinie und drang von dort aus nach Osten vor, folgte dem Tal des Gila-Flusses und hielt sich annähernd parallel zur Grenze zwischen den USA und Mexiko. Ihr Ziel war eine Meerenge zwischen der Hochebene von Colorado im Norden und der Sierra Madre im Süden, ein neuer Wasserweg, der zwischen den Staaten und Mexiko verlief. Bei den Seeleuten hieß dieser Durchbruch »Meerenge von El Paso«. Jenseits davon, irgendwo über Texas, würde die Arche sich nach Norden wenden und an der Ostküste des Rockies-Archipels entlang nach Colorado fahren, zu einem Rendezvous mit der New Jersey .
Die Flut näherte sich mittlerweile einem Pegelstand von eintausendachthundert Metern. Von Nordamerika war nicht mehr viel übrig außer Inseln und Hochebenen, Überbleibsel der Rocky-Mountain-Staaten von Idaho bis Arizona, von Nevada bis Colorado. Sie kamen nur langsam voran, und sie waren sehr vorsichtig. Lily wusste, dass Lammockson sich durchaus im Klaren darüber war, wie gefährlich die Untiefen des nordamerikanischen Archipels geworden waren, besonders
seit die Stadt Denver schließlich untergegangen war und die erneut verlegte Rumpfregierung allmählich die Kontrolle über die Massen verlor, die sich auf dem noch vorhandenen Hochland drängten.
Was Captain Suarez betraf, so hatte sie sich draußen auf dem offenen Meer die ersten Sporen verdient. Sie hatte den Piratenkonvoi befehligt, der die Arche im Wirbel angegriffen hatte, bevor sie von Lammockson in einem für ihn typischen Bravourstück der Integration seiner Gegner rekrutiert worden war. Suarez kam nicht gern in zu große Nähe des Ufers, das von Booten, Flößen oder ganzen schwimmenden Städten gesäumt war. Sie fuhr auch nicht gern durch den Unrat, der immer noch aus den versunkenen Städten Hunderte von Metern unter ihrem Kiel emporstieg. Und als ehemalige Piratin sah sie es gar nicht gern, dass sie nun ein weiteres Mal mit der New Jersey zusammentreffen würden. Aber das war der Plan, und wie alle Gefolgsleute Lammocksons tat sie letztendlich das, was man ihr aufgetragen hatte.
Das Schiff besaß keine große Ähnlichkeit mehr mit dem in kräftigen Farben angestrichenen Kreuzfahrtschiff, das vor sechs Jahren auf seiner Bergwerft in den Anden vom Stapel gelaufen war. Es war zernarbt und vielfach geflickt, man hatte das Innere ausgeräumt, und der Rumpf und die Decks starrten von Waffen. Aber Lily hatte es geschafft, ihre Kabine auf dem Hauptdeck zu behalten. Für gewöhnlich war sie jeden Tag schon lange vor der Mittagszeit von der Hitze erschöpft. Darum pflegte sie in ihrer abgedunkelten Kabine zu sitzen - die Klimaanlage funktionierte längst nicht mehr - und auf dem Flachbildschirm an der Wand zu verfolgen, wie das Schiff vorankam.
Und während die Arche langsam die versunkenen Vereinigten Staaten überquerte, wurde es Grace zur Gewohnheit, sich zu ihr zu gesellen.
Grace war im dritten Monat schwanger mit Hammonds Baby und erschöpft von der morgendlichen Übelkeit. Es war klar, dass sie nur irgendwo sitzen wollte, wo es vergleichsweise kühl war und wo sie ihre Ruhe hatte. Lily nahm sie freundlich auf und versorgte sie kontinuierlich mit Wasser, Obst und Dörrfisch. Sie erwartete keine Freundschaft von Grace, noch weniger Vergebung dafür, dass sie ihre Hochzeit mit Hammond eingefädelt hatte, eine Tat, die Grace wie ein ungeheurer Verrat seitens einer Frau vorkommen musste, die doch versprochen hatte, sie vor jeglichem Schaden zu bewahren. Lily nahm, was sie bekommen konnte. Stumme Gesellschaft war genug.
Überall auf dem verfallenden Schiff gab es ähnlich geartete Beziehungen. Man kam mit jemandem klar, oder man brach den Kontakt ab; das Schiff war nicht groß genug, dass man seinen Feinden ausweichen konnte.
Grace sah sie an. »Was hast du gesagt?«
»Nichts.« Lily hatte nicht gemerkt, dass sie laut gesprochen hatte. »Entschuldige.« Sie war fünfundsechzig Jahre alt, in den Zeiten vor der Flut kein hohes Alter, aber nach einem
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