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Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood

Titel: Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Lily.
    Amanda schnaubte und zupfte sich die Haare zurecht, wobei sie den dunklen Bildschirm des Fernsehers als Spiegel benutzte. Wie üblich gab es keinen Strom. »Dieser Faulpelz liegt noch in den Federn. Ich schwöre dir, er würde die ganzen Schulferien in seiner Bude verbringen, wenn ich ihn nicht rauswerfen würde.«
    Lily zerzauste Kristies Lockenschopf. »Ach, so ist das nun mal in seinem Alter. Zum Glück hast du in deiner Tochter ja eine willige Arbeiterin.«
    Amanda, gestresst wie immer, wurde ein wenig nachgiebiger. »Ja, das weiß ich. Und ich bin froh, dass du hier bist, Lil. Keine Ahnung, wie wir das sonst alles schaffen sollten. Gott weiß, wie wir zurechtkommen werden, wenn die Schule wieder anfängt und immer noch so schreckliche Zustände herrschen.«
    »Ich verdiene mir bloß meine Kost und Logis.« Lily schnappte sich Amandas Gartenhandschuhe. »Na komm, Kleine, bringen wir’s hinter uns.« Kristie öffnete die Haustür.
    »Wenn ihr zurückkommt, bin ich weg«, rief Amanda. »Ich hole Benj aus dem Bett, damit er euch die Tür aufmacht …«
    »Ich hab meinen Schlüssel dabei«, rief Kristie zurück. »Bis heute Abend, Mum. Hab dich lieb.«
    »Ich dich auch. Bis dann!«
     
    Kristie überließ es Lily, die Tür zuzuziehen. Diese war bei der Überschwemmung vor vier Wochen aufgequollen und passte seither nicht mehr richtig in den Rahmen. Zu zweit stapften
sie den von schmutzigen Sandsäcken gesäumten, kurzen Weg durch den Vorgarten entlang und traten auf die Straße hinaus.
    Sie gingen in südwestlicher Richtung, weg von der tief stehenden Morgensonne, zum Fluss hinunter. Dabei blieben sie meist auf dem Bürgersteig, aber es gab Stellen, wo das Wasser die Steinplatten angehoben hatte und man beiseitetreten musste. Obwohl die Straßen selbst im Großen und Ganzen geräumt worden waren, standen immer noch ein paar aufgegebene, rücksichtslos von der Fahrbahn geschobene Autos herum. Das Innere war zerstört, die Fenster waren eingeschlagen, die Radkappen und Reifen hatte man so gut wie alle abmontiert, das Benzin abgesaugt.
    Überall stand Wasser - in den Rinnsteinen, Parks und Gärten, auf den Flachdächern der Tankstellen. Aber jeder wusste, dass man es nicht trinken konnte, nicht einmal, wenn man es geschafft hätte, es zu filtern und abzukochen; das stehende Wasser war vom Schmutz einer Millionenstadt verunreinigt, deren Wasseraufbereitungs- und Kläranlagen samt und sonders überflutet worden waren.
    Wie schon seit Tagen war der Himmel völlig wolkenlos, und obwohl der übliche Gestank von Schlamm und Abwasser von der Brühe aufstieg, kündete die belebende Frische der Luft von dem typisch englischen Sommertag, der ihnen bevorstand. Die Luft war sogar sauberer als zuvor, weil es auf den Straßen so wenig Verkehr gab.
    Kristie ging schweigend neben Lily her. Sie hatte eine schwermütige Miene aufgesetzt, als wollte sie niedergeschlagen und älter wirken. Aber sie hielt ihre Rolle nicht lange durch; im Sonnenschein hüpfte sie und sprang in die
schmutzigen Pfützen. Elf war ein kompliziertes Alter, dachte Lily.
    Sie kamen zum Wassertank. Lily und Kristie waren nicht die Ersten; das waren sie nie. Es hatte sich bereits eine geduldige Schlange gebildet, Anwohner mit Eimern, Flaschen und Plastikschüsseln, beaufsichtigt von einem jungen, gelangweilt dreinschauenden Hilfspolizisten. Der Wassertank war ein großer blauer Plastikcontainer mit einem Einfüllstutzen und einem einzelnen Messinghahn, den man ohne viel Federlesens an der Straßenecke aufgestellt hatte. Er sollte mehrmals am Tag von den großen Militärtankwagen gefüllt werden, aber die Anwohner hatten aus Erfahrung gelernt, dass man sich nur auf die morgendlichen und abendlichen Lieferungen verlassen konnte, und selbst die erfolgten zu unregelmäßigen Zeiten.
    Sie stellten sich in die Schlange. Abgesehen von den leuchtenden Farben der Plastikeimer war dies eine mittelalterliche Szenerie, dachte Lily. Schmutzige Leute in schäbiger Kleidung, die sich am Brunnen anstellten. Aber zumindest waren die Unordnung und Panik der ersten Tage abgeklungen. Inzwischen hatte sich eine provisorische Regelung herausgebildet, derzufolge jeder Haushalt so viel Wasser bekam, wie zwei Personen wegtragen konnten. Die Nachbarn hatten rasch gelernt, für wen man Ausnahmen machen musste und wer Hilfe brauchte.
    Lily waren die Gesichter in den Schlangen vage vertraut, obwohl sie nur wenige mit Namen kannte. Da waren die »Krankenschwestern«, zwei Rentnerinnen von

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