Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Einwohner, die Zeugen der Wehen von London und Sydney geworden waren, nun hektisch ihre eigenen Vorbereitungen.
Zehn Prozent der Menschheit lebten unterhalb einer Höhe von zehn Metern über dem Meeresspiegel - viele Hundert Millionen Menschen. Jetzt vertrieb sie das gestiegene Meer, oder die Angst vor ihm, aus ihren Heimen, eine gewaltige Fluchtbewegung, die den gesamten Planeten erfasste … Doch die Bilder verschwammen nach einer Weile, ein verzweifelter Strom regennasser Flüchtlinge glich weitgehend dem anderen.
Eine Laufschrift berichtete von der misslichen Lage der Fußballmannschaft von Newcastle, die nach der Niederlage im Cup-Finale in Mumbai festsaß. Und dann war Schluss mit den Nachrichten, als Benj durch die Kanäle zappte und schließlich bei einem Kinderkanal landete, auf dem ein blutrünstiger Zeichentrickfilm lief.
Lily hatte gerade den Reis gekocht, als der Strom wieder
ausfiel. Der Fernseher wurde dunkel, und die beiden Kinder stöhnten frustriert. Lily goss hastig den Rest des kochenden Wassers in eine andere Thermoskanne und gab ein paar Löffel Pulverkaffee dazu.
21
Früh an diesem Nachmittag kam Piers Michaelmas vorbei, um Lily zu besuchen. Er klopfte an die Tür, und als sie aufmachte, stand er in seinem Kampfanzug vor ihr. Einen Kaffee aus der Thermoskanne lehnte er ab.
Er sei hier, sagte er, um sie auf eine Bootsfahrt ins Londoner Zentrum mitzunehmen. »Tut mir leid, dass ich nicht anrufen konnte. Verdammte Telefone, du weißt ja, wie das ist. Hier.« Er gab ihr ein militärisches Satellitentelefon. »Für künftige unvorhergesehene Ereignisse.«
»Und worum geht’s bei diesem Ausflug?«
»Sagen wir, es ist um der alten Zeiten willen.«
Lily brachte die Kinder bei einer Nachbarin unter und schlüpfte in ihren blauen AxysCorp-Overall. In flottem Tempo liefen sie die Straße entlang, am Wassertank vorbei zum Ufer, wo die Straße im See verschwand. Hier wartete ein Marinesoldat in einem orangefarbenen Schlauchboot, das an einem Laternenpfahl festgebunden war. Er half Lily und Michaelmas ins Boot, gab Lily eine Schwimmweste und einen leichten Mundschutz und forderte sie auf, beides anzulegen.
Dann schob er das Boot von der Laterne weg und warf den kleinen Motor an. Dem Verlauf der versunkenen Straße folgend, pflügte das Boot schnurstracks zum alten Flussufer. Lily fand den Mundschutz beengend - er ähnelte der
OP-Maske eines Chirurgen -, aber angesichts des Gestanks, der vom Fluss aufstieg, und der nicht identifizierbaren Klumpen, die im Wasser trieben, war sie froh darüber.
Sie beobachtete, wie der Soldat ihre Position auf einem GPS-Ärmelaufnäher überprüfte. Neben sich im Boot hatte er eine Art Miniatur-Echolot installiert, und er spähte argwöhnisch auf jeden Schatten im Wasser, an dem sie vorbeifuhren. »Knifflige Navigation«, sagte Lily.
»So ist es, Miss«, erwiderte der Soldat trübselig. Er hatte graue Haare und ledrige Haut, obwohl er nicht älter als vierzig zu sein schien, und er sprach mit einem markigen schottischen Akzent.
»Seien Sie nicht so bescheiden«, sagte Piers. »Harry war schon immer ein kleiner Seemann, wie ich gehört habe.«
»Aye, das stimmt. Ich bin auf Skye aufgewachsen, wissen Sie. Aber das hier ist was anderes. Schließlich ist noch niemand mit einem Boot die Fulham Road entlanggefahren, jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Da gibt’s überall Hindernisse, Leitkegel, Autos, Gerümpel. Ich sehe rein gar nichts in der Brühe, also danken Sie dem alten Herrn da oben für dieses Echolot.« Am ungefährlichsten schien es zu sein, wenn man sich in der Mitte der versunkenen Straßen hielt oder, noch besser, den alten Fluss selbst aufsuchte, wo man einigermaßen sicher sein konnte, freies Wasser unter dem Kiel zu haben.
Sie erreichten die Themse ein kleines Stück stromaufwärts der Putney Bridge. Die lichte Höhe unter den Brückenbögen war gering, sie reichte für dieses Schlauchboot, aber nicht für ein massiveres Fahrzeug; tatsächlich steckte ein teuer aussehendes Kajütboot unter dem Brückenbogen
fest. Die Strömung war stark, das trübe Wasser turbulent, und es roch ein wenig nach Fäulnis und Abwässern. Lily sah eine Wolke von Moskitos - Neuankömmlinge in einer verwandelten Stadt.
Vom Fluss aus waren die alten Ufer nicht mehr zu sehen. Die Themse war breit geworden, die Überschwemmung hatte sich bis zu einem Kilometer landeinwärts ausgebreitet. Häuser, Schulen, Kirchen, Industrieanlagen ragten aus dem schlammigen Wasser - Landengen
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