Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Raffinerien.«
»Wie in Houston.«
»Wie in Houston. Und natürlich liegen sehr viele dieser Einrichtungen an Küsten, sogar auf Schwemmebenen. Wir versuchen also, dieses Netz so weit wie möglich zu erhalten. Kurzfristig gesehen geht es ausschließlich um Notmaßnahmen. Zum Beispiel versuchen wir zu erreichen, dass alle Tankerflotten draußen auf See bleiben. Und wir dringen darauf, dass jedes Werk der verarbeitenden Industrie, das unserer Ansicht nach verlorengehen könnte, langlebige Produkte herstellt - zumindest während der Übergangsphase, bis alles ins Landesinnere oder auf hoch gelegenes Gelände verlagert und hochwasserfest gemacht worden ist. Also Bronze, rostfreien Stahl, Kunststoff, solche alterungsresistenten Sachen eben. Du solltest dir die Goodyear-Fabrik ansehen.«
»Goodyear? Die Reifenleute?«
»Die sind schon seit Jahrzehnten hier. Jetzt produzieren sie Berge von den verdammten Dingern.«
»Wozu brauchen wir so viele Reifen?«
»Flöße«, sagte er schlicht.
Er verblüffte sie. Seit sie aus Barcelona herausgekommen waren, hatte sie bei Piers das Gefühl gehabt, dass er viel näher am Zentrum des Geschehens war als sie, viel mehr wusste und viel weiter in die Zukunft schaute.
Der Wagen wurde langsamer. Sie befanden sich südwestlich der Innenstadt an einer Kreuzung zweier großer Straßen, der Montrose Street und der Westheimer Road. Lily erhaschte einen Blick auf Galerien, Cafés, Restaurants, Bars und Geschäfte. Es war eine lebendige Gegend, die Amanda wahrscheinlich als »gegenkulturell« bezeichnet hätte.
»Das ist der Montrose District«, erklärte Piers. »Eines der wenigen Stadtviertel, in denen man zu Fuß herumlaufen kann. Ich dachte, hier würde es dir gefallen. Dein Hotel ist gleich um die Ecke - da, siehst du? Hör zu, ich muss für ein paar Stunden zur Arbeit zurück. Tut mir leid, dass ich dich fürs Erste allein lassen muss.« Er reichte ihr die Tasche.
Aus einem spontanen Impuls heraus küsste sie ihn auf die Wange. »Dann bis später.«
»Klar.«
Die Wagentür öffnete sich, und Lily sprang hinaus. Erneut verblüffte sie die schiere Intensität des Sonnenlichts, das vom Pflaster des Bürgersteigs zurückgeworfen wurde. In der Hitze des Tages waren nur wenige Leute auf der Straße.
»Oh, Lily«, rief Piers aus dem Wagen. »Kannst du es einrichten, dass du gegen Mitternacht in deinem Zimmer bist? Ich organisiere eine Konferenzschaltung mit ein paar alten Freunden. Geht auf meine Rechnung.«
»Abgemacht.«
Der Wagen schloss sich und glitt davon. Lily eilte die Treppe hinauf und trat durch eine Schiebetür in das kühle, dunkle Innere des Hotels.
23
Helen Gray und Michael Thurley frühstückten in dem Wohnwagen der IAEO, den sie gemeinsam bewohnten. Dann bereiteten sie sich auf ihre Teilnahme an Piers’ Konferenzschaltung vor. Sie gingen in ein Lokal am Wasser in Buschehrs altem Hafen und stellten ihre Laptops auf einen Plastiktisch. Die Computer waren abgenutzte Relikte der Nullerjahre, das Einzige, was die Internationale Atomenergie-Organisation sich leisten konnte. Es wurde bereits heiß, doch das nach vorne hin offene Lokal war an westliche Besucher gewöhnt und mit Ventilatoren und reichlich Eiswasser ausgerüstet. Noch für eine Stunde oder mehr würde es hier erträglich sein.
Während sie darauf warteten, dass Lily sich einloggte, trank Helen Orangensaft und blickte auf den Persischen Golf hinaus.
Buschehr lag am Ende einer langen, flachen Insel, die früher durch eine Gezeitenmarsch mit dem iranischen Festland verbunden gewesen war; jetzt hatte das steigende Meer sie abgeschnitten, und man kam nur noch per Boot oder Flugzeug hierher. Ein ramponiertes Frachtschiff, wahrscheinlich vollgestopft mit Trockenfrüchten und Rohbaumwolle, den wichtigsten Exportgütern der Region, steuerte den im tiefen Wasser gelegenen äußeren Ankerplatz an. Sein grauer Rumpf
fuhr zwischen Gebäudereihen hindurch. Als Helen landeinwärts sah, konnte sie das industrielle Hinterland der alten Stadt erkennen, die Werke der Nahrungsmittelverarbeitungs- und Maschinenbauindustrie, die sich hier angesiedelt hatten, um das regionale Öldistributionszentrum zu versorgen, als welches die Stadt hauptsächlich fungierte. Aus dem Inneren des Lokals drang der Geruch von orientalischen Gewürzen, Öl, heißem Metall und dickflüssigem Kaffee, und in der warmen Morgenluft schwebte der Ruf eines Muezzins.
Über dem alten Hafen aber erhob sich wie ein blasser Pilz der Sicherheitsbehälter des
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