Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood

Titel: Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
Dollar für ein Exemplar der New York Post . Die Ausgabe war dünn und mit verschmierter Farbe auf rauem, mehrfach recyceltem Papier gedruckt. Die Schlagzeile vermeldete die endgültige Absage der für den Sommer geplanten Fußballweltmeisterschaft in England, bei der die amerikanische Mannschaft zu den Favoriten gezählt hatte.
    An der Kreuzung der Fünfundvierzigsten Straße zog Thandie den Stadtplan an ihrem Handgelenk zurate. »Hier entlang.« Sie wandte sich abrupt nach rechts und ging in westlicher Richtung weiter.
    Sie folgten ihr, doch Gary protestierte: »Das Empire State ist südöstlich von hier.«
    Thandie lief einfach weiter, ihrem Stadtplan folgend.
    Lily wusste ungefähr, wohin sie ging. Sie befanden sich im Garment District, dem Zentrum der städtischen Modeindustrie; auf der Seventh waren Leute wie Ralph Lauren und Calvin Klein mit in den Bürgersteig eingesetzten Granittafeln geehrt worden. Lily war einmal mit Amanda hier gewesen, die sich wesentlich mehr aus Klamotten machte als sie. Jetzt schien das Viertel weitgehend verlassen zu sein.
    Sie kamen an eine Stelle, wo zwei Löschfahrzeuge im Einsatz waren. Feuerwehrmänner pumpten einen überquellenden Gully leer. Das Wasser lief in dicken gelben Schläuchen die Fünfundvierzigste entlang nach Westen, parallel zu Thandies Weg. Die Maschinen der Löschfahrzeuge dröhnten, und die Männer blickten nicht auf, als die drei an ihnen vorbeigingen.
    Jenseits der Eighth Avenue gab es keine anderen Fußgänger mehr. Und an der Kreuzung mit der Ninth blieb Thandie nach einem Blick auf ihren Plan stehen. Hier bedeckte das Wasser den Bürgersteig.
    Es war eine seltsame städtische Küste, wie Lily sie auch schon in London gesehen hatte. Das Wasser, eine trübe, graubraune Brühe mit Ölschlieren, plätscherte um den Fuß der Gebäude und die Wracks längst aufgegebener Wagen. Die Schläuche der Löschfahrzeuge liefen hier unter der Wasseroberfläche
entlang, und wo sie das aus den Gullys gepumpte, giftige Zeug ausspien, gab es Geblubber und kleine Turbulenzen. In einigen Fenstern in den oberen Etagen der Gebäude brannte Licht, doch die meisten waren eingeschlagen, und Tauben hatten sich dort zum Schlafen niedergehockt. Ihr Mist befleckte das braune Backsteinmauerwerk.
    »Das hier ist eine große Transgression«, sagte Thandie und deutete nach Süden. »Verläuft da entlang bis zur Neunzehnten Straße, bedeckt Clinton und Chelsea und nördlich von hier noch ein rundes Dutzend Blocks. Die Flussuferbebauung ist aufgegeben worden. Die Überschwemmungskarte des GPS ist sehr gut, sie zeigt diese Uferlinie bis auf ein paar Meter genau an. Früher bin ich bei Chelsea Piers geskatet.« Ihre Stimme klang plötzlich wehmütig. Sie trat vor, bis sie knöcheltief in dem trüben Wasser stand. Dann kramte sie in ihrer Umhängetasche und holte ein Messer hervor, klappte es auf und pulte etwas von einer Mauer. Sie zeigte es Lily und Gary: eine Miesmuschel, ungefähr von der Größe einer Briefmarke, und eine kleinere Herzmuschel. » Mytilaster lineatus «, sagte sie. »Und diese Herzmuschel ist Cardium edule .«
    »Ja und?«, fragte Lily.
    »Meeresgeschöpfe. Man findet sie - ihre Schalen - im Sedimentarchiv. Gehören zu den ersten Arten, die ein Gebiet besiedeln, wenn das Meer das Land überflutet. So wie hier.« Thandie warf die Muscheln wieder ins Wasser.
    Sie blieben noch einen Moment lang am Rand des leise plätschernden Wassers stehen. Es war schmutzig und voll von schwimmendem Abfall, Plastiktüten, Fastfood-Verpackungen, Getränkedosen und Kondomen, Überbleibsel
einer Zeit, die bereits weit zurückzuliegen schien. Und mit jeder kleinen Welle näherte es sich Lilys gestiefelten Zehen ein wenig mehr, wie eine auflaufende Flut.
    »Gehen wir weiter«, sagte Thandie. Sie drehte sich um und lief die Straße entlang zurück.

31
    Auf der Seventh Avenue waren so viele dick eingemummelte Kauflustige unterwegs, dass es fast den Anschein hatte, als gäbe es den nur ein paar Blocks entfernten und immer weiter vordringenden Fluss gar nicht, als kämen Lily, Thandie und Gary aus einer Parallelwelt alles verschlingender Wassermassen und wären nun durch ein Portal in diese übergetreten.
    Auf dem Weg zum Broadway gelangten sie zum Times Square. Die Reklameflächen auf dem Platz waren dunkel, riesige schwarze Fenster ins Nichts - bis auf ein paar kleine Tafeln mit rot-weiß leuchtender Coca-Cola-Werbung, die offenbar irgendwie von den städtischen Stromsperren verschont geblieben

Weitere Kostenlose Bücher