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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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mehr.«
    Hannah imitierte das kehlige Geräusch – während Noah zuschaute und Mrs Noyes sie kritisch beobachtete.
    »Gut – genauso.«
    Es war vorbei.
    »Darf ich jetzt gehen?«, fragte sie.
    Noah starrte sie an und blinzelte.
    »Ich muss gehen, wirklich«, sagte Mrs Noyes. »Meine Kartoffelpuffer sind bestimmt schon hin.«
    Sie stand auf und wischte ein paar übrig gebliebene Haarnadeln in die Tasche ihrer Schürze. Dann ging sie zur Tür.
    »Auf Wiedersehen«, sagte sie. Und war draußen.
    Noah wusste nicht, wie er sie aufhalten sollte.
    »Auf Wiedersehen«, sagte er. »Und…«
    Hannah machte das Heft zu.
    »Es ist spät«, sagte sie. »Darf ich jetzt ins Bett gehen?«
    »Ja«, sagte Noah. »Bitte.«
    Hannah ging zur anderen Tür; das handgemachte Heft hielt sie an die Brust gedrückt. »Ich werde das alles auswendig lernen«, sagte sie. »Auch den Muskat…«, und sie gab das kehlige Geräusch von sich. »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht«, sagte Noah.
    Als sie gegangen war, nahm er das Taschentuch, faltete es wieder und steckte es tief in seine Tasche.
    »Na«, sagte er – laut –, »das war’s, nehme ich an.«
    Und – eine Sekunde später – »Ja«, sagte er – drehte sich um und suchte sein Buch.
    Berühmte Schlachten der sieben Weltmeere.
     
     
    Als Mottyl in der Dunkelheit unten im Schacht aufschlug, fiel sie – wie jede Katze – auf die Pfoten. Aber der Schock, der bei einem leichteren Sturz vielleicht aufgefangen worden wäre, verrenkte ihre Schulter und brach eine Rippe an. Sie erlitt auch Prellungen fast über den ganzen Rücken und unten am Kinn eine Schnittwunde. Ein Zahn hatte ihre Wange durchbohrt und in ihrem Innern lag alles verquer.
    Ihre Flüsterstimmen schwiegen.
    Mottyls erste Eindrücke galten jedoch nicht sich selbst, sondern ihrer Umgebung: der Vollkommenheit der Finsternis; einem seltsamen Tiergeruch, den sie nicht identifizieren konnte; einer übel riechenden Feuchtigkeit, deren Gestank von dem Tiergeruch gesondert war und ihr zugleich wie ein Geschmack und wie ein Geruch vorkam. Vor allem aber vernahm sie ein Geräusch, das sie nie zuvor gehört hatte: es war zugleich Angst einflößend und nicht deutbar.
    Diesem – dem Geräusch – galt Mottyls erste Sorge, denn sie war hilflos und fühlte sich bedroht.
    Sie lag auf der Seite, auf der sie nach dem Aufschlag zusammengesunken war, und sie merkte sehr schnell, dass sie sich nicht bewegen konnte – aus welchem Grund auch immer. Von allen Sinnen (außer ihren Flüsterstimmen) kehrte ihr Gefühlssinn als letzter zurück –, und während sie langsam ihren ganzen Körper wieder fühlen konnte, spürte sie, woher die Schmerzen rührten – auch wenn sie damit noch nicht wusste, warum sie gelähmt war.
    Und mit der Lähmung nicht genug: Dazu kam noch der Hall dieses Geräusches, das sie in Angst und Schrecken versetzte, weil es so furchtbar nahe war. Der Boden unter ihr wurde allein dadurch bewegt, dass etwas darauf stand – zuerst auf einem Fuß, dann auf dem anderen. Sie spürte, wie das Gewicht sich von einer Seite zur anderen verlagerte, und seine Kraft war so groß, dass Mottyl sie mit keinem Tier oder Wesen in Verbindung bringen konnte, das sie je gesehen hatte. Es war, als würde ein Gebäude von der Größe des Badhauses von einer Seite auf die andere schaukeln… Und das dadurch verursachte Geräusch klang wie brechendes, zersplitterndes Holz.
    Mottyl konnte sich noch immer nicht bewegen, ganz gleich, wie viel Mühe sie für den Versuch aufbrachte, und der Gedanke, dass dieses Gewicht jeden Moment auf sie herabbrausen könnte, versetzte sie in Panik.
    Sie gab den Versuch auf aufzustehen und probierte jetzt eine andere Methode aus, um zu entkommen. Sie hatte vor, eine Schwimmbewegung auszuführen: die Beine bis zur Mitte des Körpers anzuziehen. Das würde sie so klein wie möglich machen und so könnte sie auch all ihre Kräfte sammeln, um von dem, was sie bedrohte, wegzurücken.
    Wenigstens ihre Beine schienen ihr zu gehorchen – obwohl sie es noch nicht schaffte, aus der Seitenlage hochzukommen. Und als sich ihre Hüften und ihr Rücken endlich bewegen ließen, wurde ihr bewusst, wie entsetzlich hart die Fläche war, auf der sie lag – und wie nass.
    Und wenn die Nässe ihr eigenes Blut war?
    Dieser Gedanke weckte alle Energie, die ihr noch geblieben war und sie fing an zu zappeln – wie ein sterbender Fisch am Ufer –, um sich durch die bloße Kraft ihrer Verrenkungen von der Stelle zu bewegen, was sich für ihre Seite

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