Die letzte Flut
und die angebrochene Rippe als so schmerzhaft erwies, dass sie fast aufgeschrien hätte.
Dann fiel ihr ein, dass das, was sie da bedrohte, ein Tier sein musste (sie konnte seinen Atem spüren – sie konnte seinen gigantischen Magen rumoren hören) – und sie versuchen könnte, mit ihm zu sprechen. Noch etwas bewegte sie dazu, es mit Worten zu probieren – sein Geruch. Was es auch war, es war kein Fleischfresser.
Weder sein Atem noch die Haut, noch die Duftmarke – und davon verspritzte es jetzt eine ganze Fontäne – zeigte die geringste Spur von verräterischem Blut oder Knochen.
»Ist da jemand?«, fragte Mottyl. Und merkte sogleich, wie dumm die Frage war – aber sie war die erste, die ihr einfiel.
Ob dumm oder nicht, jedenfalls machte sie jeder Bewegung ein Ende – und Mottyl bildete sich ein, dass jemand Luft holte.
»Ist da jemand?«, wiederholte sie.
»Wo?« Die Stimme hatte ein enormes Volumen und schien aus einem sehr kleinen Mund zu kommen. »Ich habe niemanden gesehen.«
Mottyls Antwort war leise. »Ich liege, glaube ich, ganz nahe bei dir. Ich bin eine Katze.«
»Eine was}«
»Eine Katze. Ich bin irgendwo unten bei deinen Füßen – und ich kann mich nicht bewegen.«
Schweigen – vielleicht dachte das Tier jetzt darüber nach, was eine Katze wohl sein könnte.
»Darf ich dich bitten«, fuhr Mottyl fort, »deine Füße nicht ganz so viel zu bewegen?«
Endlich ließ sich die voluminöse Stimme hoch über ihr wieder vernehmen. Aber ihre Worte waren nicht ganz das, was Mottyl erwartet hätte, wenn ein so großes Geschöpf mit einem so kleinen spricht. Sie klangen ziemlich wehleidig. »Hat eine Katze – womöglich – Ähnlichkeit mit einer Ratze… Ratte?«
»Überhaupt keine.«
Der Seufzer der Erleichterung von oben war so tief, dass Mottyl ihn riechen konnte. Heu – vermischt mit abgestandenen, fast ranzigen Verdauungssäften.
»Hast du ein Magengeschwür?«, fragte Mottyl.
»Ich fürchte, ja«, antwortete das Tier. »Es ist in diesen letzten Tagen, seitdem wir in der Arche sind, viel schlimmer geworden. Ich kann die Dunkelheit nicht ausstehen. Ein bisschen Dunkelheit das geht noch, aber nicht diese endlose Finsternis. Man kriegt so viel Angst.«
»Wer bist du?«, fragte Mottyl.
»Ich heiße Stoßzahn.« Die Stimme kam aus der Finsternis. »Ich bin ein Elefant.«
»Ich habe wahrscheinlich so wenig Ahnung von Elefanten wie du von Katzen, Stoßzahn. Ich merke nur, dass du sehr groß bist.«
Jetzt spürte Mottyl etwas Seltsames, das sie zuerst beunruhigte. Ihr Körper wurde auf eine weiche, nicht unangenehme und sehr sanfte Weise untersucht. Was sie beunruhigte, war der Gedanke, dass es – auch wenn die Untersuchung so sanft war – sich um eine Schlange handeln können.
»Dein Geruch kommt mir nicht gefährlich vor«, schnüffelte Stoßzahn. »Aber du bist verletzt.«
»Ich weiß. Ich weiß nur nicht, wie schlimm.«
»Und zur Zeit säugst du Junge…«
»Ja – und sie brauchen mich. Kannst du mir – vielleicht – helfen, hier herauszukommen?«
»Es kommt darauf an, wo du hinwillst. Wo bist du hergekommen? Wie bist du hierher gekommen?«
»Sie ist gefallen.« Das war eine andere Stimme – sie kam von irgendwo aus der Ecke. Eine schroffe, schlecht gelaunte Stimme.
»Wer ist das?«, fragte Mottyl.
»Das ist nur Hippo«, antwortete Stoßzahn.
»Ach ja«, nickte Mottyl im Dunkeln. »Ich habe schon von Hippo gehört. Man hat ihn mir beschrieben. Ist immer am Jammern.«
»Du würdest dich auch beklagen, Katze, wenn man dir alles Wasser wegnähme. Ich will baden. Ich will untertauchen – und was kriege ich? Jeden Morgen nur einen Eimer voll Wasser. Würde das dich am Leben halten?«
Mottyl gab darauf keine Antwort.
» Von wo bist du gefallen?« Stoßzahn schien besorgt.
»Ich weiß eigentlich nicht, wie weit ich gefallen bin – aber ich bin von ganz oben gefallen – wo immer oben auch sein mag.«
»Dann bist du ganze drei Stockwerke gefallen.«
Hippo war offensichtlich beeindruckt. »Dass sie noch lebt, ist ein Wunder. Ich wäre schon platt gedrückt, wenn ich nur ein Stockwerk fallen würde.«
»Ja«, grollte Stoßzahn. »Und wir alle anderen auch. Aber dieses Geschöpf ist ganz anders als du und ich und Rhino. Es ist ganz, ganz klein – und mit Fell bedeckt, hat weder Haut noch Schuppen.«
Mottyl war verunsichert. »Wer ist Rhino?«
»Rhino liegt da und pennt. Er ist sehr deprimiert. Er hat ein ganz anderes Problem als Hippo. Für ihn ist die Arche viel zu
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