Die letzte Flut
feucht. Er braucht Staub zum Wühlen – und hier haben wir natürlich keinen Staub, nur Leckwasser und nassen Mist.«
»Oh, bitte«, rief Mottyl. »Kannst du mich von hier wegbringen? Meine Kinder…«
Stoßzahn überlegte lange, so lange, dass Mottyl fürchtete, er sei eingeschlafen wie Rhino.
Schließlich hatte Hippo eine Idee. »Warum hebst du sie nicht mit deinem Rüssel hoch? Du könntest sie mindestens bis zum nächsten Deck befördern.«
»Das stimmt.« Stoßzahn wackelte mit seinem riesigen Kopf. »Aber sie ist so klein…« Er versuchte angestrengt, Mottyl zu erkennen. »Traust du mir, Katze?«
»Das muss ich wohl.«
»Na, gut. Dann werde ich dich hochheben. Aber du darfst dich nicht dagegen wehren.«
Wieder spürte Mottyl, wie die weiche Sonde des Elefanten sie abtastete – sie fühlte, wie sie ganz sanft gefasst und gehalten wurde – wie in der Krümmung eines großen Ellbogens – so wie Mrs Noyes sie manchmal hielt. Und dann wurde sie hochgehoben …
Was ist los?
Da seid ihr ja wieder.
Ja – aber wo?
Keine Zeit für Erklärungen. Wir sind irgendwo mitten in der Luft.
Und steigen!
Stoßzahn hob Mottyl sehr hoch und schwenkte sie zum Fußboden des nächsthöheren Decks.
»Kannst du unter dir etwas fühlen?«, fragte Stoßzahn – er hatte Mottyl noch nicht losgelassen.
»Ja. Da sind Planken.«
»Ich schiebe dich jetzt auf diese Planken, dann lasse ich dich los. In Ordnung?«
»Ja.«
»Bist du bereit?«
»Ja.«
Mottyl fühlte, wie sie über dem Boden landete – und wie Stoßzahn seine Sonde zurückzog.
Wieder allein, fand sich Mottyl – noch immer auf der Seite liegend – in einem schwach beleuchteten Gang, kaum anders als der, von dem aus sie gestürzt war. Details konnte sie nicht erkennen – nur ein ganz schwaches Licht.
»Danke«, rief sie in die Dunkelheit hinein. »Du warst sehr gut zu mir, Stoßzahn. Du hast mir das Leben gerettet – und das meiner Kinder.«
»Keine Ursache.« Stoßzahns Stimme klang jetzt gedämpft; er schien weit weg zu sein. »Wir sitzen alle im selben Boot – und jeder tut, was er kann.«
Das Erstaunliche war, dass Mottyl weder beim Hochgehoben- noch beim Festgehaltenwerden ihre Verletzungen gespürt hatte. Nicht einmal ihre angebrochene Rippe.
Stoßzahn rief von unten herauf.
»Falls du da oben etwas für uns tun kannst, Katze, könnten wir vielleicht ein bisschen Licht hier unten haben?«
»Ja«, fügte Hippo hinzu. »Und Wasser.«
»Ich werde mein Bestes tun«, versicherte Mottyl. »Ich bin sicher, dass euch jemand helfen wird.«
Binnen einer halben Stunde hatte Mottyl es geschafft, um die Innenseite des Schachts dicht an der Wand des Ganges entlang zu kriechen, bis sie – völlig erschöpft – nicht mehr konnte.
Sie machte sich Sorgen um ihre Kinder.
Jetzt würden die Kleinen sie suchen – es war Fütterungszeit –nein, eigentlich war die Fütterungszeit schon lange vorbei. Aber sie wusste, sie hatte keine Kraft mehr weiterzukriechen.
»Wenn ich ihnen nur eine Nachricht schicken könnte…«, murmelte sie, ohne zu wissen, dass sie überhaupt gesprochen hatte.
»Das kannst du«, versicherte ihr eine vertraute Stimme. »Du musst nur sagen, wo die Nachricht hin soll.«
Es war das Einhorn – irgendwo weiter oben in seinem Käfig – und Mottyl fiel vor Dankbarkeit fast in Ohnmacht, als sie seine Stimme hörte.
Als Mrs Noyes auffiel, dass Mottyl schon zu lange weg war, um nur ihre Notdurft zu verrichten, fragte sie die anderen, ob sie die Katze zufälligerweise gesehen hatten. Sie strengte sich sehr an, nicht in Panik zu geraten und vor den anderen Tieren zu verbergen, wie viel Angst sie hatte. Angst – und außerdem fing sie auch ziemlich heftig an zu zittern. Ihr sehnlichster Wunsch war jetzt – abgesehen von Mottyls Rückkehr – ein Drink.
Doch es gab keinen Drink.
Nur ein kleiner Schluck Gin hätte die Spannungen um sie herum erträglicher gemacht: die Gräuel der Arche selbst - den Verlust ihrer Katze – den Verlust ihres Platzes in der Ordnung der Dinge.
Ach, bitte – ach, nein, sagte sie zu sich selbst, als sie ihre Schürze schon als Taschentuch benutzen musste; bitte, nicht weinen; bitte, keine Tränen … Sie leckte sich die Lippen und stellte sich vor, dass jede Träne ein Tropfen Gin wäre. »Salziger Gin«, sagte sie laut. Und lachte darüber.
Als sie bei den Schafen ankam, war Mrs Noyes in sehr schlechter Verfassung. Noch immer gab es keine Spur von Mottyl – noch immer keine Hoffnung,
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