Die letzte Flut
ein Gewässer und dahinter befanden sich weidende Schafe. Ihre Glocken waren zu hören, und auch ihr Geruch beim Grasen war hier diesseits des Teiches wahrnehmbar.
Abraham setzte sich und schleckte sich die Pfoten – eine Tätigkeit, die zu präzisem Denken anregte, wenn das Hirn mit einem Übermaß an Informationen gefüttert worden war. Jahwes schrecklicher Zorn hatte solche Schwingungen ausgelöst, dass Abraham von Kribbelgefühlen und äußerst unangenehmen Schocks heimgesucht wurde: Der Himmel zeigte plötzlich zu viele Sterne; die Speisehappen, die er von dem ergattert hatte, was aus der Hand seines Herrn und Meisters gefallen war, waren fast durchweg vegetarisch und stellten ihn überhaupt nicht zufrieden; die Bäume waren ihm fremd und ihr Duft aufdringlich; die Schafglocken gingen ihm auf die Nerven und war das dort nicht ein läufiges Weibchen?
Schlagartig hörte das Pfotenschlecken auf.
Abraham suchte die Luft mit seiner Nase ab.
Nichts Fremdes am Geruch eines läufigen Weibchens. Er war überall anzutreffen.
Wo aber war das Weibchen?
Ah, ja…
Gleich da drüben.
Mottyl lag am Rand ihrer Veranda und hoffte, Mrs Noyes würde bald wiederkommen. Ihre Läufigkeit hatte die letzte, abklingende Phase erreicht und ihre damit verbundenen Beschwerden waren jetzt nur mehr eine kontinuierliche Abfolge aus Zuckungen und Krämpfen, die langsam und ungleichmäßig dem Ende zugingen. Es hatte sogar in den letzten paar Stunden Augenblicke gegeben, in denen ihr Körper sich fast normal fühlte, und sie hatte sich über die Tatsache wundern können, eine ganze Läufigkeit ohne Männchen überlebt zu haben. Das Summen ihrer Flüsterstimmen war jetzt ganz angenehm, und sie lag da, den Kopf wie zum Dösen entspannt, und erwog ein langes erholsames Nickerchen auf dem Brokatsessel mit den ungeölten Federn, dessen Sitz auf so wohltuende Art durchhing.
Eine Katze, deren Geruch nur wenig vertraut, aber ganz und gar harmlos war, streunte durch den Hof. Eine alte Katze… vielleicht ein Kater… vielleicht auch nicht… eine schlanke, vornehme Katze, deren Bauch in der Mitte einen lustigen Durchhänger hatte, was dem sonst adretten Profil ein lächerliches Aussehen verlieh.
Irgendwelche Kommentare?
Nein. Eigentlich nicht… ist allerdings eindeutig ein Kater.
Ja, aber sehr, sehr alt. Sieht aus wie ein heruntergekommener Casanova.
Ein Kater ist ein Kater, pass auf!
Er sieht zu alt aus, um noch interessiert zu sein. Übrigens, ich habe es jetzt fast hinter mir. Kein Grund, warum er nicht hierher kommen und im Hof sitzen sollte…
Du spinnst komplett, weißt du.
»Hallo.«
»Hallo.«
»Hier ist eine Veranda, wo du dich ausruhen kannst, wenn du willst.«
»Sehr lieb von dir, meine Gnädige. Vielen Dank…«
»Aber ich bitte dich. Ich freue mich auf deine Gesellschaft.«
Du Närrin.
Als Erstem fiel Michael Archangelis auf, dass Abraham fehlte. Um die Veranstaltung nicht zu stören, erhob er sich unauffällig und ging hinaus, um ihn zu suchen. Wenn Jahwe Seine Katzen verlieren würde, wäre Er untröstlich.
Nach einiger Zeit fand der Kriegerengel Abraham auch und konnte ihn vom Dach der Veranda herunterholen, wohin ihn irgendeine sterbliche Katze vertrieben hatte. Das Fell des alten Katers war etwas zerzaust, seine Miene aber war selbstgefällig und zufrieden. Allerdings, bevor das geschah und alles ein glückliches Ende nahm, sollte Michael noch eine Entdeckung machen, und zwar keine erfreuliche.
Als er durch den Staub des Noyes’schen Hofes ging, blieb etwas zwischen seinen Zehen stecken. Zuerst schenkte er ihm keine Beachtung, denn es war offensichtlich nichts von Bedeutung und würde höchstwahrscheinlich bald von selbst wieder verschwinden. Als das aber nicht geschah und das Zeug immer näher an seine Schwimmhäute rückte, wo es ziemlich lästig werden konnte, sah sich Michael gezwungen, das Ding zu entfernen.
Es war eine Feder von beachtlicher Größe.
Gedankenlos hob Michael den Gegenstand an seine Nase, wie ein Mensch, der an einer frisch gepflückten Blume riechen will.
Einen Augenblick lang war Abraham völlig vergessen und Michael eilte zum Lichtschein des nahe gelegenen Hauses. Er hielt die Feder hoch, damit die Laternen drinnen sie beleuchten konnten, und drehte sie mit zunehmender Besorgnis und Wut hin und her.
»Na, so was!«, sagte er laut, sobald sich sein Verdacht bezüglich der Herkunft der Feder bestätigte. »Hier versteckt er sich also.«
Es war Zeit für den vergnüglichen Teil
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