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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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des Abends, und die Tische wurden beiseite gerückt. Aus dem Kühlhaus brachte Emma Honigwein; unter dem Gewicht der riesigen Steinkrüge, in denen man den Wein angesetzt hatte, geriet sie ins Taumeln. Ein frischer Satz Kelche wurde herbeigeschafft und die rangniedrigeren Engel sowie die Ministranten nahmen jeden Krug, den Emma brachte, gingen von Gruppe zu Gruppe und schenkten die dicke goldfarbene Flüssigkeit ein, welche die Luft mit ihrem schweren Honigduft erfüllte. Die Engel schleckten ihre mit Schwimmhaut versehenen Finger ab und lächelten verführerisch zuerst den einen, dann den anderen an – Engel und Sterbliche zugleich.
    Die in den strahlenden Glaslaternen steckenden Kerzen wurden anders verteilt und warfen Licht dorthin, wo während des Mahles Dunkelheit geherrscht hatte – und Schatten, wo vorher Licht war.
    Mrs Noyes wurde hinausgeschickt, um ihre Schafe zu holen, und mit einem Wink lud Jahwe Hannah ein, sich aufs Podium Ihm zu Füßen zu setzen.
    Während die Schafe eingesammelt und die Lämmer dazu angehalten wurden, weniger lebhaft zu sein, fing Noah – der mit dieser Unterhaltung seinen alten Freund aus seiner großen Depression erlösen wollte – wie die meisten Magier es tun, mit einem oder zwei seiner einfacheren Kunststücke an – mit den spektakulären, mit Tauben und Enten –, Kunststücken, die anerkennendes Gemurmel und Freude hervorrufen, die aber eigentlich zu den allereinfachsten Darbietungen gehörten.
    Nachdem er sein tiefblaues Magiergewand angezogen und seine Magiertische so nahe an Jahwe gerückt hatte, wie er es wagte, und dann vielversprechend seinen hohen spitzen Hut aufgesetzt hatte, fing er an.
    Als Erstes führte er Drei-Taubendrei vor, dann Sechs-Taubensechs und darauf, in schneller Folge, die entzückende Reihe, die man Sechs-Tauben-fünf-und-die-Gans nennt, ein Kunststück, bei dem ein aufdringlicher Gänserich zuerst auf dem einen, dann auf dem anderen Arm und zuletzt unter dem hohen spitzen Hut erscheint, und zwar gerade in dem Moment, in dem Sechs-Taubensechs wiederhergestellt scheint.
    Diese Darbietung bringt die Zuschauer immer zum Lachen und weckt Hoffnung auf noch mehr Freuden – und in der Tat war Sechs-Tauben-fünf-und-die-Gans in dieser Nacht im blauen Pavillon ein ganz wunderbarer Erfolg. Die Engel klatschten begeistert Beifall. Die Ministranten – typisch für Kinder – quietschten vor Freude – und sogar Japeth lächelte. Jahwe jedoch war nicht aufzumuntern. Seine Lippen versuchten tapfer Anerkennung zu vermitteln – aber kein Laut kam über sie.
    Also versuchte es Noah noch einmal.
    Diesmal spielte er buchstäblich mit Feuer – er zog Feuer aus der Luft und verbannte es in einen großen durchsichtigen (auch hervorgezauberten) Luftballon, woraus er es dann wieder in Gestalt einer erneuten Stichflamme herausholte.
    Nichts.
    Jahwe war so völlig niedergeschlagen, dass ihm nicht einmal Das Seil von Endor ein Lächeln entlocken konnte, was bei allen anderen gelang.
    Noah verzweifelte allmählich, dennoch wusste er ganz genau, dass er noch über einen Zaubertrick verfügte, den er nicht nur aus den Ärmeln schütteln, sondern auch außerhalb des Pavillons darbieten konnte, und dass dieses Kunststück garantiert begeistern würde. Aber der erhoffte Erfolg würde ausbleiben, wenn man Jahwe nicht dazu bringen konnte, gleich am Anfang des Programms in die allgemeine Begeisterung einzustimmen.
    Genau in diesem Augenblick, als Jahwes Gemütsverfassung den Tiefpunkt erreicht hatte, erschien Mrs Noyes wieder auf der Bildfläche – mit kaum merklichem Taumeln –, sie hatte ihre Schafe im Schlepptau und diese begannen wie auf Kommando zu singen:
     
    Sammeln wollen wir uns am Flusse
    wie dereinst die Engelschar,
    wo er fließt vor Gottes Throne,
    sein Wasser ewig kristallklar …
     
    Noch immer keine Reaktion.
    Es gab sogar ein ganz leises Anzeichen dafür, dass die singenden Schafe Jahwe missfielen. Er rümpfte die Nase und machte Anstalten zu niesen.
    Hannah hielt ihm eine Serviette hin.
    Der Niesreiz legte sich.
    Obwohl er merkte, wie sehr sein Freund litt, konnte Noah das Lied nicht mittendrin unterbrechen; er wusste, wenn Schafe einmal angefangen hatten, konnte man sie nicht mehr stoppen, bis sie das Ende eines Stückes erkannten. Sie waren ja so blöd! Fast in Panik näherte sich Noah dem Podium, während das Lied weiterging.
    Es war eindeutig nötig, Jahwes Depression frontal anzugreifen, und so schritt Noah ganz nach vorne und stellte einen seiner

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