Die letzte Flut
selbst dem Regen ausgesetzt und begann sich – ganz langsam – schwarz zu färben.
»So?«, sagte Doktor Noyes. »Du hast sie also doch gefunden.«
»Ja. Tot. Sie war tot.«
»Soso…« Doktor Noyes lehnte sich wieder zurück, Hannah und der Schirm machten die Bewegung mit. »Also dann, mach die Schürzen auf, zeig mir erst die Äpfel, dann kannst du an Bord kommen.«
»Ich… die Äpfel werden zerstört«, sagte Mrs Noyes. »Willst du vielleicht schwarze Äpfel essen?«
Noah dachte nach – aber nur kurz, dann befahl er: »Komm an Bord!«
Mrs Noyes sagte »danke« und bückte sich, um die Schürzen an den Bändern zu packen. »Seid still!«, sagte sie.
»Hast du etwas gesagt?«, fragte Doktor Noyes.
Mrs Noyes machte sich an den Schürzen zu schaffen – hievte sie schließlich über die Schultern auf den Rücken. »Gesagt?«, wiederholte sie. »Ja, ich habe ›danke‹ gesagt.«
Doktor Noyes nickte ihr zu. »Bitte schön, meine Liebe.« Er drehte sich um. »Ich werde drinnen auf dich warten.«
Donner.
»Da, siehst du? Jahwe freut sich, dass du dich der Wirklichkeit ergeben hast. Und an deiner Stelle, meine Liebe, wäre ich dankbar, dass er eine so große Verspätung duldet.«
Mrs Noyes gab keine Antwort.
»Nun komm endlich! Komm rein, raus aus dem Regen!« Und Doktor Noyes verschwand und Hannah mit ihm. »Ja, Herr«, sagte Mrs Noyes. Und ging an Bord – mit ihren Äpfeln.
Und der Regen – der gerade schwarz gewesen war – verlor jetzt jegliche Farbe und ging über in heftige Güsse. Von denen, welche die Sintflut überleben sollten, waren jetzt alle an Bord der Arche. Und Jahwe – und dies war seine allerletzte Geste – schloss sie ein.
So wie ein Licht den Verirrten in der Finsternis den Weg weist, so wurde die Arche zu einer Art Magnet, der einen Strom von Möchtegernüberlebenden den Berg hinaufzog. Als der Regen zunahm, kamen zuerst lange Reihen von Mäusen und Horden von Ameisen und Käfern – und Unmengen all jener Geschöpfe, die im Boden leben, und deren Wohnstatt nun überflutet war und weggespült wurde. Sie suchten die Sicherheit, welche die Erde bietet, mehr nicht, da offensichtlich mehr nicht möglich war. Doch die Aussicht, die oberen Regionen zu erreichen – irgendeine Stelle, die noch nicht überflutet war –, führte sie bald zum Wunderwerk des großen gelben Stalles, den Noah – sie wussten, dass dies sein Berg war – auf den seltsam schräg platzierten Stelzen auf freiem Feld errichtet hatte.
Kleine Wolken aus Mäusen huschten über die Wiese, vom Wind von einer Seite zur andern getrieben; manchmal vereinten sie sich zu größeren Wolken, bis in einem Wirrwarr von Zurufen an verloren gegangene Kinder und dem Schrei: »Familien – geht nicht auseinander!« sich ganze Stürme von piepsenden Mäusen zusammengebraut hatten. Endlich blieben alle – es waren tausende – stehen. Sie hatten eine Stelle erreicht, von der aus sie auf die Arche hinunterstarren konnten, um sie zu studieren; sie grübelten noch, welche Möglichkeiten ihnen dieses Bauwerk bieten würde; sie versuchten sich mit seiner Größe anzufreunden – es war weitaus größer als irgendeine Scheune, irgendein Stall, den einer von ihnen je gesehen hatte. Aber – wie kam man hinein?
Pfeifer lugte ganz vorsichtig aus der Erde und überlegte, ob er sich den Flüchtlingsströmen anschließen sollte, die den Berg hinaufzogen.
Sein Platz war weitgehend überflutet, sogar in seine Schlafkammer drang das Wasser jetzt ein. All seine Essensvorräte waren schon zerstört und binnen weniger Stunden würden ihm seine Höhlen und Gänge auch nichts mehr nützen.
Aber auf dem Berg waren schon so viele, darunter Waldmurmeltiere von anderen Feldern, dass er zweifelte, ob bei der großen Pilgerfahrt noch ein Platz für ihn wäre.
Überall, so schien es, war lebendes Fleisch – ein ganzer Berg voller Rücken und huschender Füße. Es war nicht so, dass Pfeifer nicht gewusst hätte, welche Hoffnungen sie antrieben. Aber er wusste auch, dass diese zum Scheitern verurteilt waren. Es hatte etwas mit Jahwe und Noah zu tun und damit, dass der Tod eine Schneise, so breit und tief wie überhaupt nur vorstellbar, schlagen sollte. Von der Opferung im Hof hatte er die Geräusche gehört und die Feuer gesehen – und er wusste, diese Tiere, die in Richtung Altar hinaufzogen – die meisten von ihnen ohne eine Ahnung, was ein Altar war – teilten alle dieselbe Hoffnung, nämlich gerettet zu werden. Nun – er
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