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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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hatte nicht das Recht, ihre Hoffnungen zu zerstören.
    Geht nur weiter – vorwärts, marsch!
    Sein Blick wanderte über das Feld und so weit sein Auge reichte, bis zur Steinmauer – und er dachte: Hierher gehöre ich. Es ist besser, dem großen Tod hier zu begegnen, als mich der verlorenen Horde anzuschließen und zertrampelt und beiseite geschoben zu werden. Sein Alter – sein geschwächtes Sehvermögen – seine schmerzenden Knochen –, Pfeifer wusste, er würde das Gedränge der anderen nicht überstehen.
    Nein. Er würde warten. Mit der Zeit würde die Menge abnehmen – die Panik würde sich verringern –, dann würde er sein Feld überqueren, nach oben gehen und sich in Richtung Osten durch den Regen bewegen – und er würde in seinem Lieblingsbau sitzen und die letzten Tage der Welt von dort aus betrachten.
     
     
    Bis zum Abend hatte die Flut die Wipfel des Zedernhains erreicht; bei Einbruch der Dunkelheit war sie bei der unteren Grenze der oberen Wiese angekommen.
    Die Wiese war jetzt voll von Geschöpfen jeglicher Größe; sie bedeckten jeden geknickten Grashalm und jeden Ast und Zweig der Pinie und jeden Stein des heiligen Altars. Vögel und Insekten und Tiere jeglicher Art hatten sich dort versammelt und das Läuten der Altarglocke, deren Seil sich gelöst hatte, vermischte sich mit dem Ansturm von Stimmen, welche die schweigende Arche anflehten.
    Die riesige Versammlung war jetzt ganz frei von Panik. Ihre Betäubung hatte sie in einen Zustand trostloser Vernunft versetzt, der sich jetzt in Schock verwandelte. Ihre Mitglieder hatten über alle Tage, die der Regen, das Laufen, das Hungern und das endlose Hochsteigen schon dauerte, ausgeharrt. Jedes Plateau war unter ihnen weggewaschen worden. So lange wie nur möglich waren sie aufeinander zu und wieder auseinander gegangen, und dabei hatten sie behutsam schmerzliche Konfrontationen vermieden: Der Panther war der Antilope aus dem Weg gegangen, die Füchsin dem Hasen. Nachdem sie in jede Art Fluss geworfen, an jeder Art Ufer herausgezogen und von jeder Art Regen und Wasserfall gepeitscht worden waren, hatten sie – ganz allmählich – erkannt, dass der Tod sie alle auf unbegreifliche Weise zur Vernichtung zusammentrieb – und dass die Jagd vorbei war. Da auf dem Berg – in der Dunkelheit – im Regen und beim Klang der Glocke waren sie für jedes Gefühl taub, außer für den ganz schwachen Hoffnungsschimmer, der sich in der gelben Arche mit ihren Wänden und Fußböden und einem Dach äußerte; und mit einer Tür, die ihnen, so stellte sich ein jeder von ihnen vor, Sicherheit bieten würde.
    Sie warteten.
    Die Tür ging nicht auf.
    Der Regen hörte nicht auf.
    Die Dunkelheit bildete ein Zelt und deckte sie völlig zu.
    Etwa um die Zeit, da gewöhnlich die Sterne erlöschen – wenn es denn Sterne gibt – erschien ein Licht.
    Es schwebte über dem Wasser – leuchtend und voll, dann nur noch gebrochen – erst ein Licht, dann viele Lichter – und sie bewegten sich, getrennt oder vereint, so nahe an der gepeitschten Wasseroberfläche, dass es sich darin spiegelte. Und trotz Glockenläuten sandten die Lichter einen Klang aus; er stieß auf die wartenden Ohren wie ein wohl bekannter Ruf, obwohl er in Wirklichkeit kaum mehr als ein Flüstern war: wie vom Winde getriebene Glasstückchen.
    Jedes Geschöpf, das auf Noahs Berg versammelt war, kannte die Feen ab dem Tag seiner Geburt. Alle hatten im Gras ihre Lichter und ihre wogenden Bewegungen gesehen und hatten ihren Stimmen gelauscht, ob tief im Wald, im Unterholz oder auf den Tierpfaden, die sie ab- und niedersausten. Zu irgendeiner Zeit waren fast alle – ob jung oder alt – von den Feen gerettet worden – so wie der Lemur vor dem Drachen gerettet wurde, den Michael Archangelis getötet hatte – denn die Feen waren die einzigen Wesen, die weder Angst vor Drachen noch vor Stimmen in Höhlen noch vor dutzenden anderer Schreckgespenster hatten.
    Jetzt reckten sich alle Tiere nach vorn, um zu sehen, wie sich die Feen in Richtung Arche drehten, von oben nach unten zum ersten Mal auf sie zuflogen, sich dann hinter die Arche begaben und langsam aus dem Blick verschwanden.
    »Glaubt ihr, jemand wird sie hören? Glaubt ihr, jemand wird sie sehen?«, fragte jemand mit kaum vernehmbarer Stimme.
    Niemand wagte eine Antwort darauf. Es gab keine.
    Während sie warteten, stiegen die Hoffnungen. Vielleicht gab es ja auf der anderen Seite einen Eingang… und vielleicht würde Mrs Noyes, die gütige Mrs Noyes

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