Die letzte Generation: Roman (German Edition)
»dass Jeff immer woanders ist, wenn ich zufällig zu Hause bin? Wo ist er heute?«
Jean sah von ihrer Strickarbeit auf, einer archaischen Beschäftigung, die neuerdings mit viel Erfolg wiederbelebt worden war. Solche Moden kamen und gingen auf der Insel ziemlich schnell. Das Hauptergebnis dieser seltsamen Laune war, dass jetzt alle Männer vielfarbige Pullover geschenkt bekamen, viel zu warm, um sie tagsüber zu tragen, aber nach Sonnenuntergang ganz nützlich.
»Er ist mit einigen Freunden nach Sparta hinüber«, erwiderte Jean. »Er hat versprochen, zum Essen zurück zu sein.«
»Eigentlich bin ich nach Hause gekommen, um zu arbeiten«, sagte George nachdenklich, »aber es ist ein schöner Tag, und ich glaube, ich gehe selbst zum Schwimmen hinaus. Was für einen Fisch soll ich dir mitbringen?«
George hatte noch nie etwas gefangen, da die Fische in der Lagune viel zu schlau waren, um sich erwischen zu lassen. Jean wollte gerade auf diese Tatsache hinweisen, als die Stille des Nachmittags durch einen Ton zerrissen wurde, der auch in diesem friedlichen Zeitalter dazu angetan war, das Blut gefrieren zu lassen und den Menschen Angstschauder zu bereiten.
Es war das Geheul einer Sirene, die ihr Gefahrensignal in konzentrischen Kreisen aufs Meer hinaussandte.
Seit fast hundert Jahren hatte sich in der brodelnden Finsternis tief unter dem Meeresgrund langsam der Druck erhöht. Obwohl die Unterwasserschlucht vor vielen geologischen Zeitaltern entstanden war, hatten sich die gemarterten Felsen nie an ihre neue Lage gewöhnt. Unzählige Male waren die Schichten zerbrochen und hatten sich verschoben, wenn das unvorstellbare Gewicht des Wassers ihr empfindliches Gleichgewicht störte. Jetzt waren sie bereit, sich wieder zu bewegen.
Jeff erkundete die Felsbuchten am schmalen Strand von Sparta, eine Beschäftigung, die ihm nie langweilig wurde. Man wusste nie, auf welche exotischen Tiere man stieß, die hier vor den Wellen Schutz suchen, die den weiten Weg über den Pazifik kamen und sich am Riff brachen. Es war ein Märchenland für jedes Kind, und im Augenblick gehörte es ihm ganz allein, denn seine Freunde waren auf die Berge hinaufgestiegen.
Der Tag war still und friedlich. Kein Windhauch regte sich, und selbst das ständige Murmeln am Fuß der Klippe hatte sich zu einem dumpfen Unterton gemäßigt. Eine grelle Sonne hing in halber Höhe am Himmel, aber Jeffs mahagonibrauner Körper war inzwischen völlig unempfindlich gegen ihre Angriffe.
Der Strand war ein schmaler Sandstreifen, der steil zur Lagune abfiel. Wenn Jeff in das glasklare Wasser schaute, konnte er die überspülten Felsen sehen, die ihm ebenso vertraut waren wie Felsformationen an Land. Etwa zehn Meter tief wölbten sich die mit Pflanzen bewachsenen Spanten eines alten Schoners zur Welt empor, die er vor fast zwei Jahrhunderten verlassen hatte. Jeff und seine Freunde hatten das Wrack oft erforscht, aber ihre Hoffnung, einen verborgenen Schatz zu finden, war enttäuscht worden. Sie hatten nichts weiter erbeutet als einen mit Muscheln besetzten Kompass.
Dann ging ein heftiger, plötzlicher Ruck durch den Strand. Die Erschütterung war so schnell vorbei, dass Jeff sich fragte, ob er es sich nur eingebildet hatte. Vielleicht war es ein vorübergehender Schwindelanfall gewesen, denn alles um ihn herum war völlig unverändert. Das Wasser der Lagune war unbewegt, der Himmel ohne Wolken oder drohende Anzeichen. Und dann geschah etwas sehr Sonderbares.
Viel schneller als beim Wechsel der Gezeiten wich das Wasser von der Küste zurück. Jeff beobachtete voller Erstaunen und ohne die geringste Angst, wie der nasse Sand freigelegt wurde und in der Sonne funkelte. Er folgte dem zurückweichenden Ozean und war entschlossen, dieses Wunder, das ihm die Unterwasserwelt zugänglich machte, zu nutzen. Jetzt war der Wasserstand so weit gesunken, dass der zerbrochene Mast des alten Wracks in die Luft ragte und die daran wachsenden Pflanzen schlaff herabhingen, nachdem sie ihre Stütze durch das Wasser verloren hatten. Jeff eilte weiter und war gespannt, welche Wunder sich ihm als Nächste enthüllen würden.
In diesem Moment bemerkte er das Geräusch vom Riff. Etwas Ähnliches hatte er noch nie gehört, und er blieb stehen, um darüber nachzudenken, wobei seine nackten Füße langsam im feuchten Sand versanken. Ein großer Fisch zappelte wenige Meter entfernt im Todeskampf, aber Jeff achtete kaum darauf. Er stand aufmerksam lauschend da, während das Geräusch her
Weitere Kostenlose Bücher