Die letzte Generation: Roman (German Edition)
Gesellschaft interessante Reaktionen erfolgen würden. Wenige Künstler gediehen in der Einsamkeit, und nichts war anregender als ein Meinungsstreit unter Köpfen mit ähnlichen Interessen.
Dieser Zusammenprall hatte bereits etliche nennenswerte Ergebnisse auf dem Gebiet der Bildhauerei, der Musik, der literarischen Kritik und der Filmproduktion hervorgebracht. Es war noch zu früh für ein Urteil, ob die mit historischen Forschungen beschäftigte Gruppe die Hoffnungen ihrer Begründer erfüllen würde, die offen danach strebten, den Stolz der Menschheit auf ihre eigenen Leistungen wiederherzustellen. Die Malerei kränkelte noch, was manche in ihrer Ansicht bestärkte, statische, zweidimensionale Kunstformen hätten keine weiteren Möglichkeiten.
Es war bemerkenswert, obwohl man noch keine befriedigende Erklärung dafür gefunden hatte, dass die Zeitdimension eine wesentliche Rolle bei den erfolgreichsten künstlerischen Schöpfungen der Kolonie spielte. Selbst die Plastiken waren selten unbeweglich. Andrew Carsons aufsehenerregende Formgebilde und Bögen veränderten sich langsam, während man sie betrachtete, nach komplexen Mustern, die der Geist anerkennen konnte, auch wenn er sie nicht völlig verstand. Carson beanspruchte mit einiger Berechtigung, die »Mobiles« des vorigen Jahrhunderts zu ihrer letzten Vollendung gebracht und auf diese Weise Bildhauerkunst und Ballett vermählt zu haben.
Die musikalischen Experimente der Kolonie beschäftigten sich zum großen Teil ganz bewusst mit dem, was sich als »Zeitspanne« bezeichnen ließ. Was war der kürzeste Ton, den der Geist erfassen konnte, oder der längste, den er ohne Langeweile zu ertragen vermochte? Konnte das Ergebnis durch Gewöhnung oder durch die Anwendung einer geeigneten Instrumentierung verändert werden? Solche Probleme wurden endlos erörtert, und die Auseinandersetzungen waren nicht nur akademisch. Sie hatten zu mehreren interessanten Kompositionen geführt.
Aber die erfolgreichsten Experimente hatte Neu-Athen in der Kunst des Zeichentrickfilms mit seinen grenzenlosen Möglichkeiten unternommen. In den hundert Jahren seit Disneys Zeit war auf dem Gebiet des flexibelsten aller Kunstmittel vieles ungetan geblieben. Die streng realistische Schule konnte Ergebnisse erzielen, die von echten Fotografien nicht zu unterscheiden waren, sehr zur Verachtung aller, die den Zeichentrickfilm auf der abstrakten Linie weiterentwickelten.
Die bisher untätigste Gruppe der Künstler und Wissenschaftler erregte ausgerechnet das größte Interesse und die größte Beunruhigung. Diese Arbeitsgruppe befasste sich mit der »totalen Identifikation«. Die Geschichte des Films lieferte den Schlüssel zu ihren Unternehmungen. Zuerst der Ton, dann die Farbe, dann die Stereoskopie, dann Cinerama hatten die guten alten »bewegten Bilder« der Wirklichkeit immer mehr angenähert. Wie ging die Entwicklung weiter? Sicherlich wäre die Endstufe erreicht, wenn das Publikum vergaß, dass es Publikum war und an der Handlung teilnahm. Zu diesem Zweck mussten alle Sinne angeregt werden, und vielleicht musste man sogar Hypnose anwenden, doch viele hielten es für durchführbar. Wenn dieses Ziel erreicht war, würde es eine ungeheure Bereicherung der menschlichen Erfahrung bedeuten. Man konnte, zumindest für eine Weile, ein anderer werden und an einem – realen oder imaginären – Abenteuer teilnehmen. Man konnte sogar eine Pflanze oder ein Tier sein, wenn es sich als möglich erwies, die Sinneseindrücke anderer Lebewesen aufzuzeichnen und wiederzugeben. Und wenn die »Vorstellung« vorbei war, würde man eine Erinnerung mitnehmen, die genauso lebhaft wie eine tatsächliche Erfahrung und nicht mehr von der Wirklichkeit zu unterscheiden war.
Die Möglichkeiten waren atemberaubend, obwohl viele andere sie erschreckend fanden und hofften, dass das Unternehmen scheiterte. Doch sie wussten, wenn die Wissenschaft etwas für möglich erklärt hatte, ging kein Weg mehr daran vorbei, dass es eines Tages Wirklichkeit wurde...
So war es um Neu-Athen und einige seiner Träume bestellt. Es hoffte das zu werden, was das alte Athen hätte sein können, wenn es Maschinen statt Sklaven besessen hätte, Wissenschaft statt Aberglauben. Aber es war noch viel zu früh, um zu sagen, ob dieses Experiment glücken würde.
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J effrey Greggson war ein Inselbewohner, der bisher noch kein Interesse für Ästhetik oder Wissenschaft entwickelt hatte, die zwei Hauptbeschäftigungen der Älteren. Aber
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