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Die letzte Generation

Die letzte Generation

Titel: Die letzte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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die Erde zuletzt gesehen hatte, geschehen war. Er hätte, als er sich von Sullivan vor achtzig irdischen Jahren verabschiedete, nie gedacht, daß bereits die letzte Generation der Menschheit geboren war.
    Was für ein junger Narr war er doch gewesen! Und dennoch war er sich nicht sicher, daß er seine Haltung bereute: Wäre er auf der Erde geblieben, so würde er die letzten Jahre miterlebt haben, über die jetzt die Zeit einen Schleier gezogen hatte. Statt dessen war er mit einem Hechtsprung an ihnen vorbei in die Zukunft hineingesprungen und hatte auf seine Fragen Antworten bekommen, die kein anderer Mensch je erfahren würde. Seine Wißbegier war fast befriedigt, doch bisweilen fragte er sich, warum die Overlords noch warteten, und was geschehen würde, wenn ihre Geduld endlich belohnt würde.
    Aber den größten Teil der Zeit saß er, in einer stillzufriedenen Ergebenheit, die für gewöhnlich einen Menschen erst am Ende eines langen und geschäftigen Lebens überkommt, vor den Tasten und erfüllte die Luft mit seinem geliebten Bach. Vielleicht täuschte er sich selbst, vielleicht war dies eine gnädige List seines Geistes, aber jetzt kam es Jan vor, als habe er sich immer das zu tun gewünscht. Sein geheimer Ehrgeiz hatte sich endlich an das volle Licht des Bewußtseins gewagt.
    Jan war immer ein guter Klavierspieler gewesen; jetzt war er der beste der Welt.
9
    Raschaverak brachte Jan die Nachricht, doch Jan hatte sie bereits erwartet. In den frühen Morgenstunden hatte ein Alptraum ihn geweckt, und er hatte nicht wieder einschlafen können. Er vermochte sich nicht auf den Traum zu besinnen, was sehr seltsam war, denn er glaubte, daß alle Träume sich zurückrufen ließen, wenn man es nur unmittelbar nach dem Aufwachen energisch genug versuchte. Er konnte sich nur daran erinnern, daß er wieder ein kleiner Junge gewesen war und auf einer weiten, leeren Ebene einer mächtigen Stimme gelauscht hatte, die in einer unbekannten Sprache rief.
    Der Traum hatte ihn beunruhigt. Er fragte sich, ob es der erste Angriff der Einsamkeit auf seinen Geist sei. Ruhelos verließ er die Villa und ging zu dem vernachlässigten Rasenplatz.
    Der Vollmond übergoß die Landschaft mit einem so hellen goldenen Licht, daß er alles deutlich sehen konnte. Der riesige, glänzende Zylinder von Karellens Schiff lag hinter den Gebäuden, die den Stützpunkt der Overlords bildeten, ragte hoch über ihnen auf und ließ ihre Proportionen als Menschenwerk erscheinen. Jan sah das Schiff an und versuchte sich die Gefühle zurückzurufen, die es einst in ihm erweckt hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, da es ein unerreichbares Ziel gewesen war, ein Symbol alles dessen, was er nie wirklich zu erreichen erwartet hatte. Und jetzt bedeutete es nichts.
    Wie ruhig und still es war! Die Overlords natürlich würden ebenso tätig sein wie immer, aber im Augenblick war nichts von ihnen zu sehen. Er hätte allein auf der Erde sein können, wie er es in einem sehr wirklichen Sinne ja auch war. Er blickte zum Mond empor, auf der Suche nach irgendeinem vertrauten Anblick, an dem seine Gedanken Halt finden könnten.
    Dort auf dem Mond waren die alten Meere, an die er sich gut erinnerte. Er war vierzig Lichtjahre weit in den Raum vorgedrungen, und doch war er niemals auf diesen weniger als zwei Lichtsekunden entfernten, staubigen Ebenen umhergewandert. Einen Augenblick unterhielt er sich damit, den Krater Tycho zu suchen. Als er ihn entdeckte, sah er zu seinem Erstaunen, daß jener glänzende Fleck weiter von der Mittellinie der Scheibe entfernt war, als er gedacht hatte. Und in diesem Augenblick bemerkte er, daß das dunkle Oval des Mare Crisium völlig fehlte.
    Das Antlitz, das ihr Satellit jetzt der Erde zukehrte, war nicht dasselbe, das seit dem Morgen des Lebens auf die Welt niedergeschaut hatte. Der Mond hatte sich um seine Achse zu drehen begonnen.
    Das konnte nur eines bedeuten. Auf der anderen Seite der Erde, in dem Lande, das sie so plötzlich des Lebens beraubt hatten, erwachten jene jetzt aus ihrer langen Trance. Wie ein erwachendes Kind die Arme ausstreckt, um den Tag zu begrüßen, spannten auch sie die Muskeln und spielten mit ihren neuentdeckten Kräften …
     
    »Sie haben recht geraten«, sagte Raschaverak. »Es ist für uns nicht mehr sicher, hierzubleiben. Noch werden sie uns vielleicht nicht beachten, aber wir können uns dieser Gefahr nicht aussetzen. Wir brechen auf, sobald unsere Ausrüstung verladen ist – wahrscheinlich in zwei oder drei

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