Die letzte Hürde
behinderte Mädchen mit der großen Pferdeliebe und Reitbegeisterung sehr. Es war nicht schwierig, ihn dazu zu überreden,
Lena in Zukunft zu unterrichten, auch wenn er mit Behinderten bisher keine Erfahrungen hatte. Bille verabschiedete sich. Sie lieh sich Ankes Fahrrad aus und fuhr nach Groß-Willmsdorf hinüber, wo sie schon dringend erwartet wurde.
Als sie nach einem langen Arbeitstag abends hungrig und verschwitzt ins Haus stürmte, saß im Wohnzimmer unerwarteter Besuch für sie. Lenas Eltern tranken mit Mutsch und Onkel Paul ein Glas Wein und sahen ihr erwartungsvoll entgegen. Sie begrüßten Bille herzlich. Onkel Paul zog ihr einen Stuhl heran und schob ihr ein gefülltes Glas hin.
„Ich hoffe, Sie sind uns wegen dieses kleinen Überfalls nicht böse, Bille“, begann Lenas Vater, „aber wir müssen etwas sehr Wichtiges mit Ihnen besprechen.“
Lenas Mutter unterbrach ihren Mann lebhaft. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie dankbar wir Ihnen sind, Bille! Lena hat sich durch ihren Reitunterricht vollkommen verändert, sie ist so viel lebhafter, fröhlicher - ja, und auch mutiger geworden! In den Jahren davor hatte sie sich nach und nach ganz in sich selbst zurückgezogen.“
„Nicht daß sie niedergeschlagen gewesen wäre oder mit ihrem Schicksal unzufrieden“, fuhr Herr Krolle fort. „Nein, aber verschlossen war sie und völlig passiv!“
„Es ist wie ein Wunder!“ Frau Krolles Augen strahlten. „Plötzlich eröffnen sich für Lenas Leben ganz neue Möglichkeiten, sie macht Zukunftspläne, denkt darüber nach, wie sie ihren Zustand durch eigene Anstrengung verbessern könnte, und sie macht sich Gedanken über einen geeigneten Beruf!“
„Und das verdanken wir auch Ihnen!“ Vater Krolle faßte nach Billes Hand und drückte sie.
Bei so viel Lob wurde Bille rot, sie sah hilfesuchend zu Mutsch und Onkel Paul hinüber. Doch die Mutter glühte vor Stolz auf ihre tüchtige Tochter und nickte ihr vergnügt zu. Und Onkel Paul schien tatsächlich ein bißchen gerührt zu sein.
„Ja, wir wissen gar nicht, wie wir das jemals gutmachen sollen“, fuhr Lenas Mutter fort. „Trotzdem müssen wir Ihre Hilfe nun noch einmal in Anspruch nehmen ...“
„Aber gern!“ stammelte Bille, überwältigt von so viel Anerkennung. „Was kann ich tun?“
„Lena hat in zwei Monaten Geburtstag. Wie sie mir einmal gestanden hat“, erklärte Herr Krolle, „ist ihr einziger Wunsch so ein Pony wie Zottel. Das heißt, nicht ganz: sie träumt von einem Haflinger. Zufällig habe ich einen guten Freund in Tirol, der Haflinger züchtet und auf dessen Empfehlung wir uns verlassen können. Würden Sie, Bille, in Zukunft nicht nur Lena, sondern auch das Pferd unserer Tochter zur Ausbildung übernehmen? Wir möchten es niemand anderem anvertrauen.“
„Aber selbstverständlich!“ erklärte Bille begeistert. „Das würde mir große Freude machen! Allerdings...“ Sie zögerte, „ich kann jetzt schlecht hier weg. Wenn ich den Transport begleiten sollte, wird’s schwierig werden!“
„Das wird nicht nötig sein“, sagte Herr Krolle schnell. „Unser Freund hat bereits zugesagt, nicht nur ein besonders gutmütiges, intelligentes Pferd für Lena auszusuchen, sondern sich auch persönlich um den Transport zu kümmern. An Sie haben wir nur zwei Bitten. Erstens ...“
„... daß Sie nichts verraten“, fiel ihm seine Frau lächelnd ins Wort. „Und zweitens, daß Sie sich in den zwei Tagen, die wir in Tirol auf dem Gestüt verbringen, ein bißchen um Lena kümmern. Im Haus sieht meine Mutter nach dem Rechten. Aber da Lena sich fast nur noch bei den Pferden aufhält ...“
„... aber das ist doch klar!“ platzte Bille heraus. „Lena ist für mich wie eine jüngere Schwester! Und wenn ich gerade zu tun habe, passen Mirko und die anderen auf. Machen Sie sich keine Sorgen!“
Krolles fuhren am übernächsten Tag ab. Ihrer Tochter Lena hatten sie gesagt, sie müßten zu einer Tagung nach Wien. Lena war es nur recht. Um so ungestörter konnte sie den ganzen Tag mit Zottel verbringen. Früh morgens gab Bille ihr Unterricht, dann brachten sie Zottel auf die Koppel. Da es ein ungewöhnlich milder, warmer Tag war, machte Lena es sich in der Nähe des Ponys mit Schulbüchern und Malzeug bequem. Bille bat Mirko und die Mädchen noch einmal inständig, ein Auge auf Lena zu haben und ihr wenn nötig zu helfen, dann fuhr sie nach Groß-Willmsdorf hinüber.
Es war ein verhexter Tag. Bille schien an allen Ecken und Enden des
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