Die letzte Kolonie
gelegentlich unterbrochen vom Adjutanten oder einem anderen Soldaten, der ihm ein warmes Getränk brachte, damit er wach blieb. Erst als die Sonne am östlichen Himmel emporstieg, hörte Gau, worauf er gewartet hatte.
»Was ist das?«, fragte der Adjutant.
»Still«, sagte Gau mit einer verärgerten Handbewegung. Der Adjutant zog sich ein Stück zurück. »Sie haben ihren Gesang angestimmt«, sagte Gau wenig später. »Im Augenblick begrüßen sie den neuen Morgen.«
»Was bedeutet das?«, fragte der Adjutant.
»Es bedeutet, dass sie den Morgen begrüßen«, sagte Gau. »Es ist ein Ritual , Adjutant. Das machen sie jeden Tag.«
Der Morgengesang änderte sich in Lautstärke und Eindringlichkeit und dauerte eine halbe Ewigkeit, wie es dem General vorkam. Dann endete der Gesang abrupt. Gau, der ungeduldig auf und ab gegangen war, blieb wie erstarrt stehen.
Von der Kolonie kam ein neuer Gesang mit einem ganz anderen Rhythmus herüber, und er wurde zunehmend lauter.
Gau hörte ihn sich eine ganze Weile an und sackte dann in sich zusammen, als wäre er plötzlich müde geworden.
Der Adjutant war fast im gleichen Augenblick an seiner Seite.
»Alles in Ordnung«, wehrte Gau ihn ab. »Machen Sie sich keine Sorgen um mich.«
»Was singen sie jetzt, General?«, fragte der Adjutant.
»Ihre Hymne«, sagte Gau. »Ihre Nationalhymne.« Er stand auf. »Sie singen, dass sie nicht weichen werden. Sie singen, dass sie lieber als Whaidianer sterben werden, als unter dem Konklave leben zu müssen. Alle Männer, Frauen und Kinder dieser Kolonie.«
»Sie sind verrückt«, sagte der Adjutant.
»Sie sind Patrioten, Adjutant.« Gau wandte sich dem Offizier zu. »Und sie haben sich für das entschieden, woran sie glauben. Sie sollten einer solchen Entscheidung mit Respekt begegnen.«
»Entschuldigung, General. Aber ich verstehe diese Entscheidung nicht.«
»Ich verstehe sie«, sagte Gau. »Ich hatte nur gehofft, dass sie möglicherweise doch anders ausfallen würde. Bringen Sie mir einen Kommunikator.« Der Adjutant eilte davon. Gau wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Kolonie zu und lauschte dem trotzigen Gesang ihrer Bewohner.
»Du warst schon immer recht störrisch, alter Freund«, sagte Gau.
Der Adjutant kehrte mit einem Kommunikator zurück. Gau nahm ihn, tippte seinen Code ein und öffnete einen allgemeinen Kanal. »Hier spricht General Tarsem Gau«, sagte er. »An alle Schiffe: Strahlenwaffen rekalibrieren und auf mein Kommando feuern.« Die Lichtstrahlen, die auch in
der Morgendämmerung sichtbar waren, verschwanden, als die Waffenbesatzungen der Schiffe neue Feuersequenzen eingaben.
Die Gesänge hörten auf.
Gau hätte den Kommunikator beinahe fallen gelassen. Er stand mit offenem Mund da und starrte auf die Kolonie. Langsam lief er bis zum Rand der Böschung, während er leise etwas flüsterte. Der Adjutant, der immer noch in seiner Nähe war, versuchte zu verstehen, was er sagte.
General Tarsem Gau betete.
In der Atempause schien die Zeit stillzustehen. Dann stimmten die Kolonisten erneut ihre Hymne an.
General Gau stand am Rand der Böschung über einem Fluss. Nun schwieg er und hatte die Augen geschlossen. Er schien eine Ewigkeit lang auf die Hymne zu horchen.
Dann hob er den Kommunikator.
»Feuer«, sagte er.
9
Jane war aus der Klinik entlassen worden und wartete auf der Veranda unseres Bungalows auf mich, den Blick auf die Sterne gerichtet.
»Suchst du etwas Bestimmtes?«, fragte ich.
»Muster«, sagte Jane. »Seit wir hier sind, hat noch niemand versucht, Sternbilder zu benennen. Ich dachte mir, dass ich es mal probiere.«
»Und wie kommst du voran?«
»Nicht sehr gut«, sagte sie und sah mich an. »Ich habe ewig gebraucht, bis ich auf Huckleberry die Sternbilder wiedererkannt habe, und die waren bereits definiert. Neue zu erfinden ist noch viel schwieriger. Ich sehe immer nur Sterne.«
»Konzentrier dich einfach auf die hellsten«, schlug ich vor.
»Da gibt es ein Problem«, sagte Jane. »Meine Augen sind jetzt besser als deine. Besser als die aller anderen. Für mich sind alle Sterne hell. Das ist vielleicht der Grund, warum ich nie Konstellationen gesehen habe, bevor ich nach Huckleberry kam. Zu viele Informationen. Man braucht menschliche Augen, um Sternbilder zu sehen. Schon wieder wurde mir ein Teil meiner Menschlichkeit genommen.« Sie schaute wieder in den Nachthimmel.
»Wie geht es dir?«, fragte ich, während ich sie beobachtete.
»Gut«, sagte Jane und hob den Saum ihrer Bluse. Die
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