Die letzte Lagune
würde - auf dem
Rücken, mit blöde geöffnetem Mund schnarchend. Doch
Petrelli schnarchte nicht. Er lag auch nicht auf dem Rücken,
sondern auf der Seite. Und er lag nicht auf dem, sondern vor dem Sofa. Was daraufhindeutete,
dass er gestern Nacht in der Fuselsphäre verbracht hatte und
dabei vom Sofa gerutscht war.
Signorina Lupi dachte
nach. Sie musste Petrelli unbedingt wecken. Aber wie? Als ihr Blick
auf eine mit Wasser gefüllte Schüssel fiel, die auf dem
Herd stand, wusste sie plötzlich, was sie tun würde. Das
Wasser war schmutzig, kleine schwärzliche Flocken trieben auf
der Oberfläche. Signorina Lupi vermutete, dass Petrelli
gestern Nacht in diese Schüssel gekotzt hatte, und sie
grinste. Für das, was sie beabsichtigte, hätte klares
Wasser ausgereicht, aber eine Schüssel mit diesem speziellen
Inhalt war für ihre Zwecke zweifellos besser geeignet. Sie
trat vor den Herd, hielt vorsichtshalber den Atem an und ergriff
die Schüssel. Dann stellte sie sich neben Petrelli, kippte den
Inhalt der Schüssel über seinen Kopf und genoss den
Adrenalinstoß, der durch ihren Körper fuhr.
Das Wasser war
eiskalt, und eigentlich hätte Petrelli aus seinem Rausch
erwachen müssen. Aber er reagierte nicht einmal. Kein
prustendes Durchatmen, keine instinktive Drehung des Kopfes -
nichts. Das war unbefriedigend. Also ließ sie die
Schüssel entnervt auf Petrellis Kopf fallen. Die blecherne
Schüssel machte Bong, als sie Petrellis Schläfe
traf, doch der Bursche rührte sich immer noch
nicht.
Erst als Signorina
Lupi sich bückte, sah sie die Einschüsse. Sie bemerkte
das Loch in der Schläfe und dann, als sie den Kopf gedreht
hatte, die schwarze Höhle des linken Auges, darüber die
verbrannte Augenbraue. Ein Verbrechen also, ein kaltblütiger
Mord mit zwei wohlgezielten Schüssen, der - es waren nirgendwo
die Spuren eines Kampfes zu entdecken - verdammt nach einer
Hinrichtung aussah. Signorina Lupi spürte, wie sich ihr
Herzschlag beschleunigte.
Andere Frauen
wären in einer solchen Situation schreiend aus der Wohnung
gerannt oder in Ohnmacht gefallen. Nicht so Signorina Lupi. Sie
holte nur einmal tief Luft, dann beruhigte sich ihr Puls wieder.
Sie hatte gute Nerven, außerdem die Seele einer
räuberischen Küchenschabe. Ob der Mörder noch in der
Wohnung war? Signorina Lupi hielt den Atem an und lauschte
vorsichtshalber. Nein, da war nichts zu hören. Kein knarrender
Fußboden im Schlafzimmer, keine Schritte, die sich
näherten, um eine unschuldige Zeugin zu beseitigen.
Außerdem hielt Signorina Lupi es für äußerst
unwahrscheinlich, dass sich der Täter immer noch in der
Wohnung aufhielt, denn das Blut an den Einschusslöchern war
bereits angetrocknet.
Also durchsuchte sie
Petrellis Kleidung, bevor sie sich in aller Ruhe dem Rest der
Wohnung widmete. Sie durchstöberte jeden Winkel, öffnete
jeden Schrank und guckte in jeden Topf. Selbst die Matratze im
Schlafzimmer drehte sie um und befühlte sie. Doch das Einzige,
was sie fand, waren drei Lire in Gold, blank geputzt und in einer
alten Jacke, die im Kleiderschrank von Signor Petrelli hing.
Signorina Lupi ließ die Münzen sofort in ihrer
Manteltasche verschwinden. Und da die Questura am Campo San Lorenzo
näher lag als die Polizeiwache am Markusplatz, beschloss sie,
zum Campo San Lorenzo zu laufen, um dort ihre Anzeige zu
erstatten.
Als sie zehn Minuten
später die Questura betrat, fiel ihr ein, dass die Zeichnung
immer noch im Flur Petrellis stand. Möglicherweise, dachte
sie, war es ein Fehler gewesen, das Bild nicht sofort in ihre
Wohnung gebracht zu haben. Selbstverständlich würde sie
behaupten, dass es sich dabei um ihr Eigentum handelte. Niemand
würde ihr das Gegenteil nachweisen können.
10
«Ich wollte
endlich die Miete kassieren», sagte Signorina Lupi. Sie
lächelte, wobei sie es wegen ihres fehlenden Schneidezahns
vermied, den Mund zu öffnen. «Und Petrelli schien sich
in seiner Wohnung verbarrikadiert zu haben. Nur deshalb habe ich
meinen Nachschlüssel
benutzt.»
Signorina Lupi
saß auf dem ungemachten Bett in Petrellis eisigem
Schlafzimmer und genoss die Aufmerksamkeit, die man ihr
entgegenbrachte. Der sympathische Commissario -er hieß Tron -
stand am Fußende des Bettes und rieb sich frierend die
Hände, während er seine Fragen stellte. Es war so kalt,
dass die Atemluft vor seinem Mund kondensierte.
Der Commissario hatte
sich höflich dafür bei ihr entschuldigt, dass er seinen
Zylinderhut auf dem Kopf behielt.
Weitere Kostenlose Bücher