Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
Meinung.» Bossi hatte zweimal tief
durchgeatmet und schien wieder präsent zu sein.
    «Die Contessa
hatte lediglich die Marchmain-Theorie anzubieten», sagte
Tron. «Und die halte ich immer noch für
Unsinn.»
    «Auf jeden Fall
hat Petrelli nicht aus eigenem Antrieb gehandelt», stellte
Bossi fest. «Irgendjemand hat ihn beauftragt, den Eisbecher
zu stehlen.»
    Tron nickte.
«Und dann hat dieser Jemand Petrelli ermordet, bevor er den
Eisbecher mitnahm. Er hatte nur nicht damit gerechnet, dass
Petrelli die Zeichnung mitgehen lassen würde, und wir so den
Einbruch mit dem Mord in Verbindung bringen
könnten.»
    «Aber wer
könnte Petrelli beauftragt haben, dieses Glas zu
stehlen?»
    «Ich weiß
es nicht, Bossi.»
    «Oder Petrelli
hatte den Auftrag, etwas ganz anderes zu stehlen, und hat den
Eisbecher nur irrtümlich mitgenommen.»
    «Was hätte
er denn bei uns stehlen
sollen?»          
    «Etwas wirklich
Wertvolles, Commissario.»
    Darüber musste
Tron kurz nachdenken. Gab es etwas wirklich Wertvolles im Palazzo
Tron? Etwas, das Ähnlichkeit mit einem Eisbecher aus
Pressglass hatte? Eine Art Prunkgefäß, aus dem, als der
Stern der Trons noch hell erstrahlte, ein Kaiser oder ein Papst
getrunken hatte? Nein - solche Gefäße gab es definitiv
nicht. Alles Wertvolle war im Laufe der Jahre in Bargeld verwandelt
worden.
    Tron sagte: «Es
gibt keine wertvollen Gefäße im Palazzo Tron. Ich
fürchte, es gibt überhaupt nichts Wertvolles bei uns.
Wenn Marchmain tatsächlich hinter dem Einbruch steckt und
diesen Mord wegen eines Glasrezeptes begangen hat, dann muss er
verrückt sein.»
    Bossi machte ein
unglückliches Gesicht. «Finden Sie nicht auch, dass das
alles irgendwie keinen Sinn ergibt, Commissario?»
    Tron fand das irgendwie an dieser Stelle
hübsch. Er nahm sich vor, das Wort öfter zu verwenden.
«Das meiste im Leben ergibt irgendwie keinen Sinn,
Bossi», sagte er.
    «Und was machen
wir jetzt?» Der Ispettore kramte seine Taschenuhr
hervor.
    Tron zuckte die
Achseln. «Wir sollten Marchmain einen Besuch abstatten.
Vielleicht ist der Amerikaner ja tatsächlich
verrückt.» Er lachte. «In diesem Fall ergäbe
alles plötzlich irgendwie einen Sinn.»
    Bossi warf einen Blick
auf das Zifferblatt. Dann sah er Tron mit gequälter Miene an.
«Und wann machen wir den
Besuch?»
    Ja, richtig. Tron
erinnerte sich daran, dass in einer Stunde die Proben zum Lohengrin begannen, die Bossi
auf keinen Fall versäumen wollte. Er selber musste an das
wohlgeheizte Florian denken und an dessen üppige Auswahl von
Torten. Halbgefrorenes mit Baiserstückchen!
    «Wir besuchen
Marchmain morgen Vormittag», entschied er.

11
    Der stahlblaue Himmel
über der Stadt hatte einen schwärzlichen Schimmer
angenommen, bei dem Tron unwillkürlich an die Kälte des
Weltraums denken musste. Auch die Sonne, grell und blendend, schien
nicht die geringste Wärme auszustrahlen. Sein linker Stiefel
drückte und knarrte bei jedem Schritt, so als wäre das
Leder feucht geworden und dann eingefroren. Nein, dachte Tron, es
bestand kein Zweifel daran, dass der scharfe Dauerfrost die
Fortbewegung in Venedig erheblich behinderte. Wie alle Venezianer
war Tron ein ausdauernder und freudiger Fußgänger.
Allerdings gehörte für ihn zum venezianischen
Spaziervergnügen die Möglichkeit, jederzeit in die
weichen Sitze einer gondola zu sinken. Fiel diese Option weg,
stellte Tron fest, blieb vom Spaziervergnügen wenig
übrig. Dann war die Fortbewegung viel zu anstrengend - ihm jedenfalls.
    Könnte dies ein
weiteres Indiz dafür sein, dass er zur Bequemlichkeit neigte?
Dass sein Ideal in einem beschaulichen Chaiselongueleben bestand?
Gebäckteilchen verzehrend? So wie es ihm die Principessa immer
vorwarf? Ispettore Bossi war - obgleich momentan
lohengrinmäßig aus der Bahn geworfen - ein passionierter
Kriminalist. Das aber war er, Tron, trotz seiner oft
spektakulären Erfolge im Grunde nie gewesen. Schon gar nicht,
wenn es bedeutete, bei klirrender Kälte über den
vereisten Canalazzo zu laufen. Ach, hätte er sich doch den
Fuß gebrochen, anstatt ihn nur
läppisch zu verstauchen! Dann dürfte er jetzt im warmen
Palazzo Balbi-Valier lesend auf der Chaiselongue liegen, anstatt
mit Bossi diesen Marchmain im Palazzo Zafon aufzusuchen. Und mit
welcher Begründung geschah das eigentlich? Wie sollten sie dem
Amerikaner ihren Besuch erklären?
    Darüber hatte
offenbar auch der Ispettore gerade nachgedacht. «Was sagen
wir diesem Marchmain eigentlich,

Weitere Kostenlose Bücher