Die letzte Lagune
kein
Kontakt mit Dandolo. Frage mich, was ich hier überhaupt soll.
Abends in der Hängematte beim Schein meiner
Rüböllampe Seneca gelesen. Die Briefe an Lucilius.
Beruhigend.
5.10.
Sensation! Wir
haben zwei Frauen an Bord! Ein Mädchen, höchstens
Fünfzehn, die andere Frau um dreißig. Sah die beiden
heute auf Deck bei der Nachmittagsmesse, zwei
Reihen hinter mir. Waren nachlässig verschleiert, sodass ich
ihre Gesichter erkennen konnte. Als sich die Versammlung
auflöste, kamen wir aneinander vorbei, und die Jüngere
warf mir einen schnellen Blick zu. Sie ähnelt (blond)
Annunziata, aber sie wirkt unschuldig - rein und frisch. Ein Engel! A.
hatte man ja das spezielle Leben, das sie führt, bereits ein
wenig angesehen. Muss unbedingt herausfinden, wer das Mädchen
ist und was sie auf diesem Schiff zu suchen hat.
Aufgeregt zu Bett.
Darüber nachgedacht, ob der Blick, der mich traf, nicht etwas
Anzügliches hatte. Wahrscheinlich eher nicht. Vor dem
Einschlafen wieder Seneca.
6.10.
Immer noch kein
brauchbarer Wind, Nieselregen. Wir rudern in Sichtweite kahler,
karstiger Berge, über denen sich dunkelgraue Wolken
türmen. Hinter uns, weit auseinandergezogen, die Flotte. Erst
die restlichen Galeeren, dann die Segelschiffe, an deren Tempo wir
uns orientieren müssen. Es geht quälend langsam
vorwärts. Aber ich kann wieder essen. Der Schellfisch am
Kapitänstisch ausgezeichnet. Meinen Falerner mit Wasser
verdünnt.
Pietro Cavalli, der
Zweite Offizier, drahtiger Typ aus Chioggia, hat mir nach dem Essen
verraten, um wen es sich bei den Frauen handelt. Es sind Nichte und
Tante, beide aus San Marco und auf dem Weg nach Korfu, wo ihr
Vater/Bruder die venezianische Handelsniederlassung leitet. Dieser
Benedetto Sanudo soll eng mit Dandolo befreundet sein, was die
Anwesenheit der beiden Frauen auf dem Schiff erklärt. Das
Mädchen heißt Lucia, die Leuchtende! Welch ein
zutreffender Name!
7. 10. (abends)
Das Schiff in
heller Aufregung! Aus der Kabine des Dogen sind wichtige Dokumente
entwendet worden. Man stelle sich vor! Am helllichten Tage! Dandolo
hat sofort befohlen, jeden Winkel der Galleante zu durchsuchen.
Eben haben zwei balestrieri meine Kabine auf den Kopf
gestellt und den Seneca konfisziert. War außer mir. Habe sie
darauf hingewiesen, dass ich sie persönlich für eine
Beschädigung haftbar machen werde. Der Kodex ist
außerordentlich wertvoll. Wenn er verlorengeht, bringt Papa
mich um. Was seine geliebte Bibliothek angeht, versteht er keinen
Spaß.
Danach den ganzen
Tag auf dem Vorderdeck verbracht, in der vergeblichen Hoffnung,
Lucia zu sehen. Was machen die beiden Frauen eigentlich? Irgendwann
müssen sie ihre Kabine doch mal verlassen.
Seltsam.
Abends
Schwierigkeiten einzuschlafen. Das Knarren der Ruder ging mir
wieder durch und durch. Bin nicht geschaffen für solche
Reisen. Auch ist das Schlafen in der Hängematte (deren
Aufhängung ebenfalls knarrt) auf die Dauer kein Zustand.
Leichte Kopfschmerzen.
8.10.
(vormittags)
Der Diebstahl ist
aufgeklärt! Pater Francesco ist es gewesen! Die Dokumente sind
in seinem Kleidersack gefunden worden! Cavalli sagt, der Pater
hätte beim Verhör behauptet, ihm seien die Dokumente
untergeschoben worden. Erst als man ihm die Werkzeuge (Schandmaske,
Daumenschrauben, Zangen) zeigte, hätte er gestanden.
Natürlich fragt sich alle Welt, um welche Dokumente es sich
dabei gehandelt haben könnte und ob der Papst dahintersteckt.
Dandolo jedenfalls kennt keine Gnade. Die Hinrichtung ist für
morgen Vormittag angesetzt. Auf welche Weise man den Pater
tötet, konnte Cavalli nicht sagen.
Abends auf dem
Vorderdeck mit zwei Matrosen (Deppen) aus Chioggia Tres Canes
gespielt. Mit meinen vierseiten Stabwürfeln, die ich immer mit
mir führe. Gewonnen, weil natürlich geschummelt. Jetzt
fordern die Burschen Revanche. Sollen sie haben.
Auf dem ganzen
Schiff niedergedrückte Stimmung wegen der bevorstehenden
Hinrichtung. Der Pater ist beliebt gewesen. Bin wieder seekrank.
Lucia und ihre Tante den ganzen Tag lang nicht gesehen. Offenbar
verpassen wir uns immer.
9.10 .
Windstille, an
Backbord dunstige Gebirgsmassen. Beim ersten Licht Hinrichtung von
Pater Francesco. Tod durch Ertränken, auf See ist das wohl
üblich. Der Pater schwankte, als er die Planke betrat. Sie
hatten ihm Branntwein eingeflößt und ihm die Hände
auf dem Rücken gefesselt. Dandolo selber sprach das Gebet,
während die Mannschaft niederkniete. Dann geschah etwas, das
allen Angst machte. Pater Francesco
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